Die Taliban haben Mullah Hassan Akhund zum amtierenden Chef der neuen Regierung in Afghanistan ernannt. Das teilte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid am Dienstag in Kabul mit und wies darauf hin, dass alle Posten in der Regierung zunächst kommissarisch vergeben wurden. Akhund war enger Weggefährte von Mullah Omar, einer der Gründer der Taliban und Staatsoberhaupt während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001.

Der oberste Taliban-Führer Mullah Haibatullah Akhundzada kündigte an, die Übergangsregierung werde so schnell wie möglich ihre Arbeit aufnehmen. Akhundzada wies in einer Stellungnahme auch auf die Leitlinien der neuen Staatsspitze hin. Demnach werden alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Heiligen Scharia unterworfen. Er erklärte, die Taliban stünden zu allen internationalen Gesetzen, Verträgen und Verpflichtungen, die nicht im Widerspruch mit den islamischen Gesetzen stünden. Akhundzada, dessen Sohn sich bei einem Attentat in die Luft sprengte, gratulierte dem Land zur Befreiung von "ausländischer Herrschaft". Akhundzada hat seit 2016 das letzte Wort in allen politischen, religiösen und militärischen Fragen bei den Taliban.

Innenminister auf Fahndungsliste

Stellvertreter Regierungschef soll Mullah Abdul Ghani Baradar werden, bisher Chef des politischen Büros der Islamisten. Der Posten des amtierenden Innenministers wurde an Sirajuddin Haqqani vergeben, Gründer des gleichnamigen Netzwerks. Die USA stufen das Haqqani-Netzwerk als terroristische Gruppierung ein, er selbst steht auf der FBI-Fahndungsliste.  Mullah Mohammad Yaqoob ist als Verteidigungsminister vorgesehen. Yaqoob ist ein Sohn des Taliban-Gründers Omar.

Für den Posten des Außenministers ist Amir Khan Muttaqi eingeplant, sein Stellvertreter soll Abbas Stanikzai werden. Muttaqi gilt als eine der versöhnlichsten Figuren innerhalb der Bewegung und leitete bisher die Aussöhnungskommission der Taliban. Mit Abdul Hak Wasiq wird ein ehemaliger Guantánamo-Häftling Chef des Geheimdienstes.

Kein Frauenministerium

Ein Frauenministerium findet sich bisher nicht auf der veröffentlichten Liste. Dafür wurde ein Ministerium für "Einladung, Führung, Laster und Tugend" eingeführt, das die Afghanen vom Namen her an das Ministerium "für die Förderung der Tugend und die Verhütung des Lasters" erinnern dürfte. Diese Behörde hatte während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 Menschen zum Gebet gezwungen oder Männer dafür bestraft, wenn sie keinen Bart trugen.

Kritik am neuen Kabinett

Kritik an der Zusammensetzung des Kabinetts folgte prompt. Die Islamisten hatten zuletzt immer wieder betont, eine "inklusive Regierung" ernennen zu wollen. Kurz nach ihrer Machtübernahme hatten sie regelmäßig andere Politiker des Landes wie etwa den Ex-Präsidenten Hamid Karzai oder den bisherigen Leiter des Hohen Versöhnungsrates, Abdullah Abdullah, zu Gesprächen getroffen. Ihrer Ankündigung wurden sie nun aber nicht gerecht: Bei allen bisher bekannten Besetzungen handelt es sich um Taliban-Mitglieder.

Auch ethnisch geht es bisher einseitig zu. Der Afghanistan-Experte der Denkfabrik International Crisis Group, Ibraheem Bahiss, schrieb auf Twitter, soweit er dies beurteilen könne, seien bis auf zwei Tadschiken und einen Usbeken alle Postenträger Paschtunen. Mitglieder der Minderheit der Hazara etwa fehlen völlig.

Die Frage der Inklusivität ist relevant, da viele westliche Regierungen davon abhängig machen, ob sie die künftige Regierung anerkennen und das Land, das massiv von ausländischen Hilfsgeldern abhängig ist, unterstützen werden. "Mit so einem Taliban-Kabinett wird die Welt Afghanistan nicht mal mit einem Dollar helfen", schrieb ein afghanischer Journalist auf Twitter.

Insgesamt besetzten die Taliban 33 Posten. Die Ernennung der verbleibenden Führungspositionen von Ministerien und Institutionen werde man nach "langer Überlegung" sukzessive bekanntgeben, sagte Mujahid.

Die USA zeigten sich besorgt über einzelne Regierungsmitglieder. Angesichts der "Verbindungen und der Vorgeschichte" einiger der von den Taliban benannten Personen sei die Regierung in Washington beunruhigt, sagte ein Sprecher des Außenministeriums am Dienstag. "Wir bekräftigen auch unsere klare Erwartung, dass die Taliban sicherstellen, dass afghanischer Boden nicht dazu benutzt wird, andere Länder zu bedrohen und dass der Zugang zur Unterstützung des afghanischen Volkes weiterhin gewährt wird", hieß es in der Erklärung weiter.

Ein Sprecher der Vereinten Nationen sagte vor Reportern mit Blick auf die Regierung, nur eine ausgehandelte und alle Seiten berücksichtigende Verständigung werde Afghanistan Frieden bringen.

Geberkonferenz geplant

Am 13. September ist in Genf eine Geberkonferenz angesichts der gefährdeten Grundversorgung großer Teile der Bevölkerung und über einer halben Million Flüchtlinge im Land geplant. Westliche Staaten haben sich zu humanitären Hilfen bereit erklärt. Umfangreichere Wirtschaftshilfen sollen allerdings vom Verhalten der Taliban abhängig gemacht werden. Taliban-Sprecher Mujahid sagte, das jetzige Kabinett sei geformt worden, um sich um die Grundbedürfnisse der Afghanen zu kümmern.

Die Ernennung von Akhund zeige, "wie wenig wir im Westen über die Taliban wissen und ihre Entscheidungen voraussagen können", sagt der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig von der Kabuler Denkfabrik Afghanistan Analysts Network. Vor der Bekanntgabe waren die allermeisten Beobachter davon ausgegangen, dass Mullah Baradar Premierminister wird.

Demonstrationen

In der afghanischen Hauptstadt Kabul demonstrierten indes Hunderte Menschen gegen Pakistan und die militant-islamistischen Taliban. Männer wie Frauen zogen am Dienstag durch die Innenstadt und riefen gegen das Nachbarland gerichtete Sprechchöre und äußerten indirekte Kritik an den Islamisten. Lokale Medien berichteten von kurzzeitigen Verhaftungen ihrer Mitarbeiter durch Sicherheitskräfte der Taliban.

In Herat wurden bei Protesten nach Angaben eines Arztes zwei Menschen erschossen und acht weitere verletzt. "Sie haben alle Schusswunden", berichtete der Arzt, der anonym bleiben wollte, der Nachrichtenagentur AFP. Nach Angaben des Afghanischen Verbands unabhängiger Journalisten (AIJA) wurden 14 afghanische und ausländische Journalisten, die über die Demonstrationen berichteten, von den Taliban vorübergehend festgenommen. Mehrere Journalisten berichteten zudem, sie seien geschlagen oder ihre Ausrüstung sei beschlagnahmt worden.

Die Taliban hatten nach massiven militärischen Gebietsgewinnen Mitte August die Macht in Afghanistan übernommen. Der bisherige Präsident Ashraf Ghani war kurz davor aus dem Land geflohen. Seit ihrer Machtübernahme bemühen sich die Islamisten um eine gemäßigtere Außendarstellung als zu Zeiten ihrer Schreckensherrschaft zwischen 1996 und 2001. Es besteht dennoch weiter die Sorge, dass die militante Gruppe ihre Herrschaft auf Unterdrückung und drakonischen Strafen gründen könnte.