In Oberösterreich, Salzburg und Kärnten gibt es derzeit am wenigsten Vollimmunisierte. Mit rund 57 Prozent sind Österreicher deutlich impfskeptischer als in Süd- und Westeuropa, Österreich liegt weit hinter Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden oder den skandinavischen Ländern. Auch das Tempo der Impfkampagne ist in den vergangenen Wochen deutlich gesunken. Anfang Juli ließen sich noch 80.000 bis 90.000 Personen pro Tag impfen, in der Vorwoche waren es täglich etwa 20.000 – die meisten davon erhielten ihren Zweitstich (im Fall von Biontech und Pfizer, Moderna und AstraZeneca).

Epidemiologe und Impfexperte Herwig Kollaritsch, Mitglied des Nationalen Impfgremiums, im Ö1-Morgenjournal über Impf-Skeptiker: „Wir beobachten, dass sie sich über die sozialen Medien stark austauschen und da eine Art Schneeballeffekt entsteht.“ Hier komme man mit rationaler Argumentation kaum hinein. Man solle zwar weiterhin versuchen, über Aufklärung die Impfbereitschaft zu erhöhen, statt Druck auszuüben. Aber: „Ich sehe zunehmend weniger Spielraum, dass man nicht doch auf etwas wie die ‚1-G-Regel‘ umsteigt.“

Das reine Sprechen und Reden darüber würde ganz offensichtlich nicht helfen. Geimpfte würden sich zwar ebenfalls anstecken und seien infektiös. Aber sie würden wesentlich seltener infiziert, erkranken deutlich seltener und spielen daher im epidemiologischen Geschehen eine wesentlich geringere Rolle. "Es gibt kein Argument, dass getestet besser ist als geimpft", so der Experte. Die Delta-Variante sei gleich infektiös wie die Windpocken, das sei eine Verdreifachung im Vergleich zur Wildvariante. Das sei ein sehr bedrohliches Szenario. Ohne ein Eingreifen der Politik würde es nicht zu einer Verbesserung der Situation kommen.

Auch Genesene impfen

Bei der Auswahl der Bereiche sollte man die Clusteranalysen der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) heranziehen, schlug Kollaritsch vor. Die 1-G-Regel soll jedenfalls in Diskotheken gelten und dort, wo sich Cluster gebildet hätten. Ob es sinnvoll sei, dass alle Genesenen auch geimpft würden? „Ja“, so Kolleritsch, frühestens 4 Wochen und spätestens 6 Monate nach der Erkrankung. Mit einem hohen Antikörperspiegel, das wisse man inzwischen, sei man praktisch nicht infizierbar. Die Impflinge der ersten Stunde sollten frühestens sechs Monate nach ihrer 2. Impfung eine Auffrischung bekommen. Bei jüngeren Personen reiche es frühestens nach neun Monaten.

Er führte ein Beispiel an: Wenn in einem Lokal der Nachtgastronomie zehn geimpfte und zehn ungeimpfte, getestete Personen sitzen und es kommt eine Person herein, die diese Personen ansteckt, so würden die zehn Ungeimpften, obwohl sie getestet sind, ein hohes epidemiologisches Risiko bei der zukünftigen Verbreitung darstellen. Von den Geimpften seien es lediglich ein bis zwei Personen.

"Sehr bedrohliches Szenario"

Kollaritsch verwies gegenüber Ö1 auf den anstehenden Herbst. Der saisonale Effekt bei der Eindämmung des Virus fällt in dieser Zeit zunehmend weg, das gesellschaftliche Leben verlagert sich in Innenräume, und die Schulen nehmen wieder den Präsenzunterricht auf. Hinzu kommt laut Kollaritsch, dass Delta dreimal so ansteckend wie der Viruswildtyp ist. „Wir müssen damit rechnen, dass der Infektionsdruck höher wird“, sagte der Mediziner.

Eine 1-G-Regel kann laut dem Medizinrechtsexperten Karl Stöger jederzeit per Verordnung eingeführt werden, diese Ermächtigung finde sich im Covid 19-Maßnahmengesetz, wie er gegenüber "Ö1" sagte. Diese Verordnung müsse allerdings - um vor einer möglichen Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof standzuhalten - medizinisch überzeugend begründen können, aber auch die Kosten für die Tests könnten eine Rolle spielen. "Eine mit Augenmaß gemachte 1G-Regel hat meines Erachtens gute Chancen, vor dem Verfassungsgerichtshof zu bestehen." Auch Verfassungsrechtsexperte Heinz Maier hält eine 1G-Regel für rechtlich möglich und auch geboten, um die Geimpften von Beschränkungen zu befreien. Auch eine Impfpflicht sei verfassungsrechtlich zulässig, wenn es notwendig sei, um eine größere Gefahr für die Gesundheit von Menschen abzuwenden.