Nachdem der Verfassungsgerichtshof das ausnahmslose Verbot der Hilfe zur Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt hat, hat der Gesetzgeber nun bis Jahresende Zeit, den assistierten Suizid gesetzlich zu regeln. Dabei ist einerseits dem Selbstbestimmungsrecht von Sterbewilligen, das das Gericht sehr weitreichend auslegt, und andererseits dem Anliegen Rechnung zu tragen, vor Missbrauch zu schützen und davor, dass auf Patienten in irgendeiner Weise Druck ausgeübt wird, ihr Leben vorzeitig zu beenden. Jemanden zum Suizid zu verleiten, steht weiterhin unter Strafe. Ein dritter Gesichtspunkt ist die Rechtssicherheit für jene, die im Einzelfall bereit sind, Suizidhilfe zu leisten. Diese müssen sich sicher sein können, dass der Suizidwillige tatsächlich eine freie Entscheidung getroffen hat, also nicht etwa unter Depressionen leidet oder sonst wie in seiner Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt ist.

Es gehört zu den offenen Fragen, wer künftig Suizidhilfe leisten darf, ob dies zum Beispiel Ärzte oder auch nahe stehende Personen sein dürfen. Laut einer Umfrage des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Digitale Medizin und Patientensicherheit, deren Ergebnisse im April auf einer Tagung des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin präsentiert wurden, wünschen sich 71 Prozent der Befragten, dass die Beihilfe von Ärzten und Ärztinnen geleistet werden soll. In der Ärzteschaft gilt aber nach wie vor der Grundsatz, dass die Mitwirkung am Suizid keine ärztliche Aufgabe ist.

Mag es auch Grenzfälle geben, in denen ein Arzt zur Suizidhilfe bereit ist, kann doch der Tod grundsätzlich kein Therapieziel sein. Der Weltärztebund hat seine ablehnende Haltung zu ärztlicher Suizidhilfe und Tötung auf Verlangen im Oktober 2019 nochmals bekräftigt.

Für Aufsehen sorgte allerdings die Entscheidung des Deutschen Ärztetages Anfang Mai, das Verbot der Suizidhilfe aus der Musterberufsordnung für Ärzte zu streichen. Die Bundesärztekammer reagierte damit auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, wonach das 2015 in Deutschland in Kraft getretene Verbot der gewerblichen Suizidhilfe verfassungswidrig ist. Zur Entscheidung des Ärztetages ist freilich einerseits anzumerken, dass die erwähnte Musterordnung als solche nicht rechtlich verbindlich ist. Entscheidend sind die Berufsordnungen der Landesärztekammern, die bislang die ärztliche Suizidhilfe nicht einheitlich geregelt haben. Zum anderen hat auch der Deutsche Ärztetag gleichzeitig mit großer Mehrheit einen Antrag angenommen, wonach auch künftig die Mitwirkung am Suizid keine ärztliche Aufgabe ist. Aus medizinethischer Sicht ist zu hoffen, dass diese Auffassung auch in der österreichischen Ärzteschaft weiterhin Bestand hat. Über ethische Grenzfälle und ihre rechtliche Regelung ist damit noch nichts gesagt.

In seinem Erkenntnis vom Dezember 2020 hat der Verfassungsgerichtshof eine Parallele zwischen Suizidhilfe und Patientenverfügungen gezogen. Nach Auffassung des Gerichts macht es aus grundrechtlicher Sicht „im Grundsatz keinen Unterschied, ob der Patient im Rahmen seiner Behandlungshoheit bzw. im Rahmen der Patientenverfügung in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes lebensverlängernde oder lebenserhaltende medizinische Maßnahmen ablehnt oder ob ein Suizidwilliger unter Inanspruchnahme eines Dritten in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes sein Leben beenden will, um ein Sterben in der vom Suizidwilligen angestrebten Würde zu ermöglichen. Entscheidend ist vielmehr in jedem Fall, dass die jeweilige Entscheidung auf der Grundlage einer freien Selbstbestimmung getroffen wird“.

Aus ethischer Sicht macht es jedoch sehr wohl ein Unterschied, ob jemand selbstbestimmt verfügt, dass man ihn sterben lässt, oder ob er sich mithilfe eines anderen das Leben nehmen will, sofern man der Unterscheidung zwischen Tun und Lassen eine moralische Relevanz beimisst. Auch im Umgang mit Sterbewünschen gilt es zu unterscheiden. Psychologisch, aber auch moralisch ist es auch ein Unterschied, ob ein Mensch sagt: „Ich will so nicht mehr leben“, oder: „Ich will nicht mehr leben“. Es ist nicht dasselbe, ob ein Mensch den Wunsch äußert: „Ich will nicht mehr leben, ich will sterben“, oder ob er den Vorsatz fasst: „Ich will meinem Leben ein Ende setzen, ich will mich töten“. Und schließlich macht es moralisch einen erheblichen Unterschied, ob jemand zu einem anderen, beispielsweise seinem behandelnden Arzt, sagt: „Lass mich sterben“, oder ob er ihn bittet: „Hilf mir, mein Leben selbst zu beenden“.

Hilfe beim oder im Sterben ist eben nicht das gleiche wie Hilfe zum Sterben, und ob sich die Abgrenzung zwischen Suizidhilfe und Tötung auf Verlangen, die hierzulande weiter strafbar ist, auf die Dauer halten lässt, ist noch keineswegs ausgemacht. Schließlich lassen sich Grenzfälle denken, in denen es einem Suizidwilligen aufgrund seiner Erkrankung schlicht nicht möglich ist, sich selbst das Leben zu nehmen.

Viele Konstellationen, die zugunsten straffreier Suizidhilfe angeführt werden, lassen sich schon jetzt durch Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Palliativmedizin so bewältigen, dass ein menschenwürdiges Sterben möglich ist. Leider ist das Instrument der Patientenverfügungen in der Bevölkerung noch immer nicht ausreichend bekannt. Hier besteht ein Bedarf an Aufklärung und Förderung.
Verfechter der Suizidhilfe wie etwa die Österreichische Gesellschaft für humanes Lebensende sehen denn auch das Ziel der künftigen Gesetzgebung nicht darin, die Zahl ärztlich assistierter Suizide möglichst gering zu halten, sondern im Gegenteil darin, den Suizid möglichst ungehindert zu ermöglichen. Die damit verbundenen gesamtgesellschaftlichen Gefahren sollten nicht gering geschätzt werden.

Der Heidelberger Altersforscher Andreas Kruse macht auf den Zusammenhang zwischen möglichem Suizidwunsch und Einsamkeit aufmerksam. „Die Entscheidung, aus dem Leben zu gehen, bildet nicht selten auch das Ergebnis von länger bestehender, unfreiwilliger Isolation und daraus hervorgehender Einsamkeit. Die Studienlage ist hier eindeutig: Im Falle lange bestehender Einsamkeit und Isolation nimmt die Lebensbindung des Menschen immer weiter ab, die Intensität der Suizidgedanken immer weiter zu.“

Kruse sieht hier eine gesamtgesellschaftliche Problematik, weil sich Isolation und Vereinsamung nicht auf Probleme der individuellen Pathologie reduzieren lassen. Vereinzelung, soziale Ungleichheit, materielle Existenzrisiken nach Arbeitsverlust haben auch soziale Ursachen. Einsamkeit und Isolation können aber auch im Erleben von Schwerkranken an Gewicht gewinnen, zumal, wenn das Krankheitsbild in hohem Maße angstbesetzt ist, wie etwa bei einer progredienten Demenz.

Umso mehr ist auf den weiteren Ausbau der Palliativmedizin und - pflege zu dringen. Auch der VfGH hat betont, dass der Zugang zu Palliativversorgung für alle gewährleistet werden muss. Gefordert ist eine Kultur der Solidarität mit den Sterbenden. Sie schließt praktische Maßnahmen zur Beseitigung von personellen, räumlichen und strukturellen Engpässen in der Pflege sowie eine gesellschaftliche, aber auch finanzielle Aufwertung des Pflegeberufs ein. Gefordert ist eine Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse, aber auch der Medizin und der Pflege in Kliniken und Pflegeheimen, welche die Würde des Menschen im Leben wie im Sterben achtet. Was Leidende brauchen, ist unsere Solidarität, nicht das todbringende Medikament.