Der Österreichische Frauenring beklagte am Montag bei einer Pressekonferenz, dass die Expertinnen und Experten zum Thema Gewalt gegen Frauen nicht eingeladen wurden zum heutigen Gewaltschutzgipfel im Innenministerium. Jene Personen also, vorwiegend Frauen, die in ganz Österreich mit dem Opferschutz befasst sind. "Die Politik ist in der Sache ahnungslos."

"Die Situation ist unerträglich", formulierte Klaudia Frieben, die Vorsitzende des Österreichischen Frauenringes. In Zusammenhang mit den Frauenmorden nehme die Brutalität deutlich zu. "Der Hass gegen Frauen kennt offenbar keine Grenzen."

Bei dem bereits letzte Woche angekündigte Gipfel im Innenministerium wollen Frauenministerin Susanne Raab und Innenminister Karl Nehammer eine weitere Intensivierung des Instruments der Fallkonferenzen thematisieren, mit dabei auch Justizministerin Alma Zadic. Das Frauenministerium und das Bundeskriminalamt werden außerdem eine qualitative Untersuchung aller Tötungsdelikte an Frauen in den vergangenen zehn Jahren in Auftrag geben, hieß es im Vorfeld aus dem Innenministerium.

"Polizei die erste Anlaufstelle"

Vor Beginn des Gipfels erinnerte Nehammer daran, dass die Polizei die erste Anlaufstelle sei: "Wählen Sie 133!" Bei den neun Fällen in diesem Jahr bisher habe die Polizei nur ein einziges Mal vorher die Chance gehabt, eine Aktion zu setzen. Die Zahl der für die Präventionsarbeit zuständigen Beamtinnen und Beamten werde von 500 auf 800 aufgestockt. Man werde besonders darauf achten, dass auch Informationen über Stalker rasch an Opferschutzinstitutionen weitergegeben würden.

Frauenministerin Susanne Raab griff die Verärgerung der Frauenorganisationen auf und kündigte für kommende Woche einen Runden Tisch im Frauenministerium an, zu dem diese auch eingeladen werden. Ziel dieser Runde sei es, sicherzustellen, "dass die rechte Hand weiß, was die linke tut", so Raab. Geladen zu dieser Runde seien daher die Praktikerinnen, nicht die politische Opposition. Gerade auch die Fallkonferenzen, die es wieder vermehrt geben solle, seien dabei wichtig.

Die mangelnde personelle Ausstattung der Opferschutzorganisationen wischte Raab vom Tisch. Das Budget sei bereits um fast 50 Prozent erhöht worden. Es gebe in 90 Prozent der Bezirke Mädchen- und Frauenberatungsstellen und in jedem Bundesland Gewaltschutzzentren. "Es wird keine Frau abgewiesen."

Justizministerin Alma Zadic kündigte einen Erlass an, der sicherstellen soll, dass Beweise besser gesichert werden. "Unser Problem ist, dass es zu wenig Verurteilungen gibt, Frauen trauen sich oft nicht, auszusagen." Die Sicherheitsbehörden seien gefordert, von sich aus verstärkt auch Beweise zu sammeln, unabhängig von den Aussagen der Frauen. Man werde auch bei der Ausbildung der Richterinnen und Staatsanwältinnen verstärkt ansetzen. "Neun Morde schon in diesem Jahr, das sind neun Morde zu viel."

"Als Vater und als Mann wütend"

Klare Worte fand im Parlament Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein. 9 Frauen, getötet von 9 Männern, noch ehe das erste Halbjahr zu Ende ist: "Wenn ich als Vater und als Mann darüber nachdenke, macht mich das traurig und wütend." Mückstein wandte sich dagegen, dass in solchen Fällen oft "ein Beziehungsdrama hineininterpretiert", die Schuld des Mannes auf diese Weise relativiert werde. "Da gibt es keinen Interpretationsspielraum und keine Grauzone. Wenn ein Mann eine Frau schlägt oder umbringt, dann ist zu 100 Prozent er daran schuld."

Bundespräsident Alexander Van der Bellen und seine Frau Doris Schmidauer laden am Dienstagnachmittag zu einem Expertengespräch in die Hofburg.

Häusliche Gewalt im Fokus

Die Istanbul-Konvention nahm häusliche Gewalt in den Fokus, sie ist seit 2014 in Kraft und wurde von Österreich ratifiziert.

Gemeinsam mit Maria Rösslhumer (Frauenhäuser) und Rosa Logar (Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie) nannte Frieben folgende Maßnahmen, die es rasch umzusetzen gelte:

  • 228 Millionen Euro brauche es, um die Schutz- und Gleichstellungsmaßnahmen laut Istanbul-Konvention, die Österreich ratifiziert habe, endlich umzusetzen.
  • Darüber hinaus müssten 3000 Stellen geschaffen werden, um über alle Vereine und Institutionen hinweg die Begleitung von bedrohten Frauen und Kindern sicherzustellen.
  • Die Hochrisiko-Fallkonferenzen, die unter Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß (unter Schwarz-Blau in der Regierung) angeschafft wurden, seien wieder einzuführen und jeweils von der Polizei zu initiieren.
  • Frauen und Kinder müssten vor amtsbekannten Tätern besser geschützt werden.
  • Eine Kampagne solle gestartet werden, deren Ziel die Bekämpfung von frauenfeindlichem Verhalten im öffentlichen Raum und am Arbeitsplatz sei.

Frieben: "Es ist fünf nach 12 für die Frauen in Österreich." Die Frauenschutz-Organisationen würden zu wenig gehört, in letzter Zeit zu wenig miteinbezogen, ergänzte Maria Rösslhumer als Sprecherin der Österreichischen Frauenhäuser. "Die Frauen fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen."

Die Polizei gehe Anzeigen oft gar nicht nach, informiere die Betroffenen nicht über ihre Rechte, verhänge keine Betretungsverbote, weil alles viel Arbeit und sie selbst überlastet seien. "Auch deshalb braucht es die zusätzlichen Stellen." Im Bereich von Polizei und Justiz müsse das Thema auch in der Ausbildung besser verankert werden.

Die Frauenhäuser sammeln alle Daten und Fakten zum Thema Gewalt gegen Frauen in Österreich:

  • Jede fünfte Frau in Österreich ist ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt.
  • Heuer wurde bereits die neunte Frau getötet, 2020 waren es 31, 2019 39, 2018 41. Seit 2014 verdoppelte sich die Zahl der Frauenmorde.
  • Beim überwiegenden Teil der Frauenmorde bestand ein Beziehungs- oder familiäres Verhältnis zum Täter.
  • 2020 wurden 11.652 Betretungs- und Annäherungsverbote von der Polizei verhängt.
  • 2019 wurden 19.943 Opfer familiärer Gewalt von den Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen betreut.

"Eine Telefonnummer reicht nicht"

Rösslhumer: "Wir können den Satz nicht mehr hören: 'Es wurde alles getan.' Es reicht nicht, einer bedrohten Frau mitten in der Nacht eine Telefonnummer zu geben und sie dann alleinzulassen." Auch in den Spitälern gebe es in vielen Fällen immer noch nicht die gesetzlich vorgeschriebenenOpferschutzgruppen, die die Frauen beraten, ihren Zustand entsprechend diagnostizieren und ‒ für den Fall einer späteren Anzeige ‒ gerichtstauglich dokumentieren.

Rosa Logar zog einen Vergleich zur Bewährungshilfe: Dort sei jeder Berater für 35 Fälle zuständig. Bei der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, der größten Opferschutzeinrichtung Österreichs, kommen auf eine Beraterin 310 Opfer. "Das Leben von Frauen und Kindern muss uns mehr wert sein!" Sich aus einer Gewaltbeziehung zu befreien, sei extrem gefährlich, "die meisten Morde und Mordversuche fallen in die Zeit der Trennung". Es brauche mehr Ressourcen, um die Opfer in dieser Zeit zu begleiten.

Unterstützung bekamen die Frauen von der SPÖ. "Schöne Worte alleine reichen nicht", sagt auch SPÖ-Frauenvorsitzende Gabriele Heinisch-Hosek. In einer Petition fordert die SPÖ u. a. die Wiedereinführung der sogenannten "Fallkonferenzen".

"Stopp Femizide"

Bei dem von den SPÖ-Frauen organisierten Gedenken an die Opfer der jüngsten Frauenmorde, aber auch an all jene der letzten Jahrzehnte stellte Heinisch-Hosek auch die SPÖ-Unterschriftenaktion "Stopp Femizide. Endlich ein Ende der Gewalt gegen Frauen" vor. Seit dem Vortag habe man bereits 2100 Unterschriften gesammelt, sagte sie. Gefordert werden neben der Wiedereinführung der "Hochrisikofallkonferenzen" und einem bundesweiten Gewaltschutzgipfel mit Experten-Beteiligung auch mehr Mittel für den Gewaltschutz, der Ausbau der Frauen- und Mädchenberatungsstellen, mehr Frauenhausplätze und Übergangswohnungen in allen Bundesländern.