Heute vormittag wurde der neue Gesundheitsminister angelobt. Der Wiener Arzt Wolfgang Mückstein trat die Nachfolge von Rudolf Anschober an. Ihm ist keine Einarbeitungsphase gegönnt, er springt gleich hinein, mitten ins Geschehen: Kurz nach seiner Angelobung gibt er bereits seine erste Pressekonferenz, zum Impfgeschehen in Österreich, und anschließend beginnt die zweitägige Regierungsklausur, bei der die Öffnungsschritte besprochen werden sollen - wann immer dann tatsächlich mit dieser Öffnung begonnen werden kann.

Die Angelobung erfolgte Montag vormittag um 10 Uhr. Der neue Minister steht zu seinem bisher eher lockeren Stil, auch in Kleidungsfragen: Zur Angelobung reiste er öffentlich und mit Turnschuhen an:

Die Turnschuhe blieben, auch auf eine Krawatte verzichtete der neue Minister, nur in Farbe von Jackett und Hose passte er sich dem Schwarz von Bundespräsident, Kanzler und Vizekanzler an. Mückstein empfand die Angelobung als durchaus "aufregend", aber jetzt "freue ich mich auf die Arbeit", sagte er nach der Angelobung.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen betonte, der Gesundheitsminister habe kraft Verfassung mitten in der Pandemie die wesentlichen Entscheidungen zu treffen und zu verantworten, aber es brauche die gesamte Regierung, mit dem Kanzler an der Spitze, alle Landeshauptleute und Bürgermeister, das Pflege-, Test- und Impfpersonal und nicht zuletzt die gesamte Bevölkerung, um die Krise zu bewältigen. "Da gibt es zwischendurch Meinungsverschiedenheiten, unterschiedliche Interpretationen von Daten, Diskussionen, aber eine entwickelte Demokratie wie die unsere hält das aus."

Mückstein habe Pionierarbeit als Arzt geleistet, und Ärzte genössen gemeinhin höchstes Ansehen in der Bevölkerung. "Ich bin zuversichtlich, dass Sie darauf auch als Minister bauen können", so der Bundespräsident. Der neue Minister war bisher Mit-Inhaber eines Primärversorgungszentrums in Wien und für die Grünen in der Ärztekammer aktiv. Zu den Patienten dieser Gruppenpraxis gehört auch der Bundespräsident selbst.

Es folgten die Gelöbnisformel und die Unterschriften. "Die Zahlen gehen langsam, aber stetig zurück. Ich hoffe sehr, dass wir einander bald wieder treffen können, zu Hause, im Gastgarten, unter Freunden, und dass wir einander vielleicht bald auch wieder die Hand schütteln können."

Kein Handschütteln heute, dafür große Abstände und Masken. Der Tribut an die Pandemie.

Es sind vier große  Baustellen, die Wolfgang Mückstein von Anfang an konsequent bearbeiten muss, um das in Zeiten der Corona-Pandemie zentrale Regierungsressort in den Griff zu bekommen:

1. Mit den Ländern arbeiten lernen

Das Verhältnis zu den Bundesländern ist für jeden Gesundheits- und Sozialminister entscheidend für Erfolg oder Misserfolg: In beiden Bereichen gibt es über weite Strecken eine gemeinsame Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern – in Bereichen wie Spitälern, Pflege oder Armenwesen, um nur einige zu nennen.

In der Pandemie ist das dem Buchstaben des Gesetzes nach anders: Mückstein könnte Landeshauptleute anweisen, etwa einen Lockdown über ihr Land zu verhängen. Sein Vorgänger Rudolf Anschober ging bekanntlich stattdessen den Weg, solche Entscheidungen nur im Konsens zu treffen – mit der Folge, dass lange über Maßnahmen verhandelt wurde, statt schnelle, klare Entscheidungen zu treffen.

Für Mückstein steht schon in den nächsten Tagen die Entscheidung an, wie er dieses Verhältnis handhaben will: Besonders im Fokus stehen Vorarlberg – wo nach der Öffnung der Gastronomie die Inzidenzzahlen stärker steigen als im Rest des Landes – und das Burgenland, das ab heute aus dem Lockdown der Ostregion ausschert: zwar mit relativ niedrigen Inzidenzzahlen, aber auch mit ausgelasteten Intensivstationen.

2. Sich und uns allen Klarheit verschaffen

Jeden Tag veröffentlicht die Republik drei unterschiedliche Schlüsselwerte über den Pandemieverlauf. So lag am Freitag die österreichweite 7-Tage-Inzidenz, also der Wert der nachgewiesenen Neuinfektionen je 100.000 Einwohner im Schnitt der vergangenen sieben Tage, wahlweise bei 193 (nach dem elektronischen Meldesystem für Covid-19-Fälle), bei 199 (nach dem Krisenstab des Innenministeriums) oder bei 205 (nach dem Ages-Dashboard). In Wien war die Inzidenz entweder um vier niedriger als am Donnerstag (EMS) oder um fünf höher (BMI/Ages). Noch diffuser ist die Datenlage bei der Frage der Intensivbetten.

Es gibt für diese Unterschiede teils gute Gründe – etwa die Frage, ob Nachmeldungen sofort in die Statistik einfließen oder auf zurückliegende Tage verteilt werden. Aber für viele Forscher ist klar, dass bei Qualität und Offenlegung der Daten Luft nach oben wäre: „Es hat sich viel getan im letzten Jahr. Tausende sind an Covid-19 gestorben, Millionen vereinsamen zu Hause im Lockdown, aber auf eines ist Verlass: Die Wissenschaft bekommt noch immer keine Daten!“, twitterte etwa der Wiener WU-Registerforscher Harald Oberhofer.

3. Zum Testen und Impfen motivieren

Eines der positiven Dinge, die Mückstein von seinem Vorgänger erbt, ist die inzwischen in weiten Teilen Österreichs gut ausgebaute Test-Infrastruktur. Sie hat nur einen Haken: Wie eine Umfrage des Corona-Panels der Universität Wien vor Kurzem gezeigt hat, nutzt rund ein Drittel der Österreicher die Möglichkeit zu Gratistests nicht.

Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass genau das ein Problem ist: Da tendenziell jene Leute nicht testen gehen, die sich auch sonst nicht streng an die Maßnahmen halten, ist genau jener Teil der Bevölkerung nicht über seinen Infektionsstatus im Klaren, der die größte Gefahr läuft, andere anzustecken.

Noch größer wird die Frage der mangelnden Impfbereitschaft in Teilen der Bevölkerung sein: Abhängig davon, welcher Impfstoff angeboten wird, sind nur zwischen zwei Drittel (Pfizer) und 47 Prozent (AstraZeneca) der Menschen bereit, sich impfen zu lassen. Der fehlende Anteil könnte zum Problem werden – wenn es keine Herdenimmunität gibt, bleibt die Krankheit gefährlich, außerdem steigt mit jedem, der nicht geimpft wird, das Risiko für weitere Mutationen.

4. Mit dem Partner (über)leben lernen

Als Mücksteins größtes Manko sehen viele Beobachter seine Unerfahrenheit in politischen Dingen: Während Anschober mehr als ein Jahrzehnt in der oberösterreichischen Landesregierung unter dem Gürtel hatte, war der Allgemeinmediziner „nur“ in den Gremien der Wiener Ärztekammer und am Rande in den türkis-grünen Regierungsverhandlungen aktiv.

Auch wenn ihm mit der Regierungsklausur heute und morgen – Motto „Comeback“ – wohl ein einigermaßen freundlicher Start bevorsteht, wird sich Mückstein für allerlei Begehrlichkeiten rüsten müssen. Am Wochenende gab beispielsweise Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer (ÖVP) im Gespräch mit der Kleinen Zeitung aus, einer breiten Öffnung „steht nichts mehr im Weg“.

Mücksteins Vorgänger fühlte sich von der Volkspartei beim Wunsch nach kräftigeren Maßnahmen oft „alleingelassen“. Zieht sich das weiter, könnte das neben der Pandemiebewältigung – sechs der neun Länder werden von schwarzen Landeshauptleuten geführt – auch bei anderen Reformen schwierig werden, etwa bei der längst überfälligen Neuordnung des Pflegebereichs.

Erratum: Die ursprüngliche Version des Artikels erklärte die 7-Tages-Inzidenz als Neuinfektionen je 1000 Einwohner (im Schnitt der vergangenen sieben Tage). Das war falsch, die Zahl bezieht sich auf pro 100.000 Einwohner. Wir bedauern. (gr, 19.4. 9:45)