Die Corona-Impfungen mit dem Impfstoff AstraZeneca sind in Deutschland vorsorglich ausgesetzt. Die Bundesregierung folge damit einer aktuellen Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts, teilt ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums mit. Nach neuen Meldungen über Thrombosen der Hirnvenen im Zusammenhang mit der Impfung seien weitere Untersuchungen notwendig. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA werde entscheiden, "ob und wie sich die neuen Erkenntnisse auf die Zulassung des Impfstoffes auswirken".

Italien und Frankreich zogen nach, ebenso Spanien, Portugal und Slowenien. In Italien wurde der  Beschluss am Montag von der italienischen Arzneibehörde AIFA in Rom gefasst, die am Donnerstag bereits eine Charge von Impfstoff des britisch-schwedischen Pharmakonzerns eingezogen hatte.

Auch in Wien ist das Impfgremium zusammengetreten. Am späteren Montagabend dann die Überraschung: Österreich schließt sich nicht dem Impfstopp vieler Staaten an, sondern setzt das Impfprogramm mit dem Impfstoff AstraZeneca vorerst fort.

Österreich trotzt also dem europäischen Trend und wird weiter mit dem umstrittenen Vakzin von AstraZeneca impfen, so die vorläufige Empfehlung des nationalen Impfgremiums. Allerdings wird auch klar gestellt, dass noch Daten fehlten. Daher könne man keine "abschließende Empfehlung" abgeben, heißt es in einer Aussendung des Gremiums.

Die bis jetzt eingelangten Meldungen vermuteter Nebenwirkungen diverser europäischer Länder seien derzeit noch inkomplett und schwer vergleichbar, sodass sich keine zusammenfassende Aussage oder eindeutigen Schlüsse tätigen ließen, schreibt das Gremium. Am Dienstag würden jedoch neue Daten der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA vorgelegt, die als Entscheidungsgrundlage für das weitere Prozedere dienen sollten. Das Impfgremium wird daher am Dienstag wieder debattieren.

Klare Entscheidung der EU gefordert

Anschober fordert ein gesamteuropäisches Gesamtvorgehen, nachdem bereits sehr viele Staaten Europas das Verimpfen ausgesetzt haben. Es brauche jetzt eine klare Entscheidung und Empfehlung der EMA für die Mitgliedsstaaten, so Anschober. "Wir haben uns bei den Impfungen auf ein gemeinsames europäisches Vorgehen geeinigt. Nationale Einzelgänge sind in diesem Zusammenhang weder effektiv noch vertrauensbildend", betonte der Gesundheitsminister. "Wenn derart weitreichende Entscheidungen getroffen werden, müssen diese durch fundierte Daten und Fakten eindeutig belegt sein und am besten durch die dafür zuständige EMA empfohlen werden."

Derzeit gebe es laut Anschober keinen Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff von AstraZeneca und den aktuell diskutierten gesundheitlichen Ereignissen, "die auch bei ungeimpften Personen auftreten können".

Tschechien und Polen machen ebenfalls weiter, Frankreich setzt Impfungen mit dem Impfstoff von AstraZeneca hingegen vorerst aus. Frankreich wolle bis zur Einschätzung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA den Impfstoff erstmal nicht mehr einsetzen, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Montag beim französisch-spanischen Gipfel mit dem spanischen Regierungschef Pedro Sanchez im südwestfranzösischen Montauban.

Es handle sich um eine "Vorsichtsmaßnahme", und es bestehe die Hoffnung, dass die Impfungen mit AstraZeneca schnell wieder aufgenommen werden könnten. Macron gab an, AstraZeneca bis mindestens Dienstagnachmittag aussetzen zu wollen.

Berichte über Komplikationen

Nach Berichten über Komplikationen durch Blutgerinnsel nach der Impfung haben die Niederlande, Irland, Dänemark, Norwegen und Island den Einsatz des Impfstoffs vorübergehend ausgesetzt.  Österreich stoppte die Verwendung von bestimmten Chargen.

In Österreich war eine 49-jährige Krankenschwester des Landesklinikums Zwettl in Folge schwerer Gerinnungsstörungen gestorben, eine 35-jährige Kollegin entwickelte eine Lungenembolie, befand sich zuletzt jedoch auf dem Weg der Besserung. Bei diesen beiden Fällen in Niederösterreich hatten die betroffenen Frauen zuvor Impfungen aus derselben Charge des AstraZeneca-Impfstoffes erhalten.

"Kein Zusammenhang mit Blutgerinnseln"

AstraZeneca hat seinen Covid-19-Impfstoff nach Berichten über Nebenwirkungen verteidigt. Man sehe kein erhöhtes Risiko von Blutgerinnseln in Zusammenhang mit dem Vakzin. Eine Analyse aller Sicherheitsdaten von mehr als 17 Millionen Menschen, die in der EU und in Großbritannien mit dem Mittel geimpft wurden, habe keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko einer Lungenembolie, einer tiefen Venenthrombose oder einen Rückgang der Blutplättchen ergeben, so AstraZeneca am Sonntagabend.

Auch der SPD Gesundheitssprecher Karl Lauterbach sieht die Entscheidung sehr kritisch, wie er auf Twitter mitteilte.

WHO sieht "noch kein Alarmzeichen"

Das Aussetzen von Impfungen mit dem Produkt von AstraZeneca in verschiedenen Ländern ist aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) noch kein Alarmzeichen. Die Vorfälle seien nicht notwendigerweise auf das Impfen zurückzuführen, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Montag in Genf.

"Es ist eine Routine-Praxis, das zu untersuchen." Außerdem zeige es, dass das Überwachungssystem funktioniere und wirksame Kontrollen stattfänden, so der WHO-Chef. Eine WHO-Fachgruppe zur Impfstoffsicherheit analysiere die Daten und werde sich am Dienstag mit Vertretern der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) beraten.

Nach den bisher vorliegenden Daten gebe es keine Häufung schwerwiegender medizinischer Vorfälle, hieß es. "Bisher haben wir keine Verbindung zwischen den Ereignissen und den Impfungen gefunden", sagte WHO-Expertin Soumya Swaminathan. Unter den weltweit bisher verabreichten 300 Millionen Impfdosen verschiedener Hersteller gebe es bisher keinen dokumentierten Fall eines kausalen Zusammenhangs mit tödlichen Vorfällen. Der Vorteil einer Impfung überwiege nach aktuellem Stand das Risiko bei weitem.