Zum 25. Jahrestag des Dayton-Friedensvertrags hat der Bosnien-Beauftragte Valentin Inzko konkrete internationale Vorgaben für das im Reformstau steckende Balkanland gefordert. Nach der "weniger glorreichen Phase der lokalen Lösungen" brauche es nun eine, "die wieder präskriptiv, robust und mit konkreten Fristen versehen sein sollte", sagte Inzko im APA-Interview. "Dann sollten wir uns, nach getaner Arbeit, wie bei uns die Alliierten Kräfte im Jahr 1955, zurückziehen".

"Mit dem Erreichten bin ich nicht wirklich und nicht ganz zufrieden", sagte der seit dem Jahr 2009 amtierende Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft. Die erste Phase nach dem Krieg sei "ungemein erfolgreich" gewesen, verwies Inzko auf die Errungenschaften beim Staatsaufbau. Zunächst habe es im Land nur drei Ministerien, dafür aber drei Währungen, Reisepässe, Nummerntafeln und Führerscheine gegeben. "Das alles wurde vereinheitlicht. Wir haben nun neun Ministerien, einen Reisepass, eine Fahne und eine Hymne, eine ungemein stabile Währung, eine Grenzpolizei, eine Fußballliga und eine Armee, wo es vorher drei gab, die gegeneinander gekämpft haben."

Zu früh umgeschaltet

"Der Fehler war aber, dass wir zu früh und zu abrupt auf lokale Verantwortung umgeschaltet haben und damit unheilvolle Entwicklungen ermöglicht haben", sagte er in Anspielung auf den bosnischen Serbenführer Milorad Dodik, der die Institutionen des Zentralstaates beständig herausfordert. In dieser Phase, die in den Jahren 2006 und 2007 begonnen habe, "gab es nicht nur wenig Fortschritte, sondern sogar Rückschritte", kritisierte Inzko.

Hoffen auf Joe Biden

Daher brauche es nun "frischen Wind", forderte der Bosnien-Beauftragte. "Diesbezüglich sehe ich günstige Vorzeichen." Schließlich kenne der künftige US-Präsident Joe Biden den Balkan "sehr gut", so Inzko. "Andererseits bemerke ich bei meinen Besuchen in Berlin auch dort ein verstärktes Interesse an Bosnien und am Balkan." Zudem sei spätestens nach dem (von einem Österreicher mit nordmazedonischen Wurzeln) verübten Attentat klar, "dass unsere Sicherheit am Balkan beginnt, in unserer unmittelbarer Nachbarschaft".

"Wir wollen mehr Brüssel und weniger Dayton", forderte Inzko. "Der Dayton-Friedensvertrag ist die Basis. Er ist der Ausgangspunkt, aber nicht der Endpunkt. Er muss weiter entwickelt werden, den europäischen Menschenrechten angepasst und modernisiert werden." So müsse die bosnische Verfassung "dringend" geändert werden, weil sie etwa Minderheitenangehörige bei der Wahl des Staatspräsidiums diskriminiere. Dieses muss nämlich nach einem ethnischen Proporz mit je einem Bosniaken, einem Serben und einem Kroaten besetzt sein.

Der langjährige Balkan-Kenner warnte davor, den Frieden in Bosnien-Herzegowina als gegeben anzunehmen oder die Bedeutung des Friedensschlusses am 21. November 1995 geringzuschätzen. "Die überwältigende Leistung des Dayton-Vertrags ist es, dass er den Frieden gebracht hat." Was heute banal klingen mag, sei damals "ein unerreichbarer Traum" gewesen, "der in Erfüllung ging". Schließlich sei der Bosnien-Krieg mit 100.000 Toten der größte Konflikt auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen. Auch habe es mit Ausnahme Nordirlands kaum ähnliche Konfliktbeilegungen gegeben, verwies Inzko auf den Kaukasus, den Nahen Osten oder Syrien. Der aktuelle Konflikt in Berg-Karabach zeige zudem, dass es "eine Illusion (sei) zu glauben, dass eingefrorene Konflikte ewig eingefroren bleiben".

Inzko gab sich zugleich überzeugt, dass der europäische Weg des Landes erfolgreich sein wird. "Bosnien wird in 25 Jahren der EU und der NATO angehören", sagte er auf eine entsprechende Frage. Auch das NATO-Ziel sei im Gesetz geregelt, "obwohl einige serbische Politiker deshalb derzeit die Nase rümpfen".

Keinen Zweifel hat Inzko daran, dass Bosnien die Bedingungen für eine EU-Mitgliedschaft erfüllen wird. Schließlich seien die Bosnier "begabte Leute", zählte er erfolgreiche Auslandsbosnier wie etwa Justizministerin Alma Zadic (Grüne), die frühere schwedische Unterrichtsministerin Aida Hadzialic, den Ex-Telekom-Austria-Manager Boris Nemsic oder den früheren Sturm-Graz-Trainer Ivica Osim auf. Er würdigte auch den österreichischen Beitrag zur Stabilisierung Bosnien-Herzegowinas. Österreich ist die größte Truppenstellernation bei den Friedenstruppen und hat bisher acht EUFOR-Kommandanten gestellt. 14 der 25 Jahre seit Dayton war ein Österreicher Bosnien-Beauftragter, von 1999 bis 2002 Wolfgang Petritsch und seit 2009 Inzko. Auch das Amt des EU-Sonderbeauftragten besetzt mit Johann Sattler ein Österreicher.