"Verringern Sie bitte ab sofort Ihre Kontakte! Ein Drittel weniger Kontakte halbiert das Infektionsrisiko." Und genau das bräuchten wir jetzt dringend angesichts rasch steigender Infektionszahlen.

Das seit Sonntag gültige aktuelle Maßnahmenpaket, das den Mindestabstand rechtsverbindlich vorgibt, die verpflichtende Verwendung des MNS massiv erweitert und ungeregelte Veranstaltungen drastisch verringert, würde seine dämpfende Wirkung in gut einer Woche erreichen. "Wir müssen und werden aber dennoch umfassende und hochwirksame Zusatzmaßnahmen in kürzester Zeit beschließen und verankern müssen", kündigte der Ressortchef an.

Intensivstationen

Der sprunghafte Anstieg der Infektionszahlen lasse auch die Reserven in den Intensivstationen massiv schmelzen. Setzt sich dieser Trend fort, dann würde die Kapazitätsgrenze Mitte bis Ende November erreicht sein. Daher benötige es in den nächsten Tagen breit getragene massive Zusatzmaßnahmen, um die aktuellen drastischen Steigerungen wieder abflachen zu können.

Die Reduktion der Freizeitkontakte und Mobilität seien jetzt Knackpunkte für eine Eindämmung der rasant steigenden Corona-Infektionszahlen - "ohne dem wird man in der aktuellen Situation nicht auskommen", bestätigt Simulationsforscher Niki Popper. Die Modelle zeigen, dass man hier mit einer vernünftigen Reduktion wirklich gute Erfolge erzielen könne. Die Politik müsse aber jetzt schon überlegen, wie weit man mit den Zahlen herunterkommen wolle und was man weiter tue.

Maßnahmen zuwenig gewirkt

Retrospektiv müsse man sagen, dass die Maßnahmen der vergangenen Wochen nicht so gewirkt haben, wie gehofft wurde, so der Wissenschafter von der Technischen Universität (TU) Wien. Ende September habe man eine minimale Mobilitätsreduktion gesehen, aber diese habe sich nicht fortgesetzt und sei nicht ausschlaggebend gewesen. Und die Kontaktzahlen in den Netzwerken hätten sich offensichtlich nicht entsprechend reduziert.

Ob Maßnahmen wie in Deutschland der richtige Weg sind, will Popper nicht beurteilen, "das ist vor allem eine politische Diskussion". Getan werden müsse jedenfalls etwas, "ob das jetzt Lockdown heißt, weiß ich nicht, das ist ja auch nicht sehr exakt definiert".

In den Simulationsmodellen sehe man aber, wie unterschiedliche Maßnahmen wirken. Und da zeige sich, dass man durch eine Kombination von Maßnahmen und der Einschränkung der Freizeitkontakte (Popper: "darunter fällt bei uns im Modell leider vom gemeinsamen Treffen, über Sport und Hobbys mit anderen vieles, wo wir uns austauschen und was wir gerne machen"), dass man das Infektionsgeschehen schnell in den Griff bekommen kann.

Es geht um die Freizeitkontakte

"Ohne diese Einschränkung der Freizeitkontakte ist es in der aktuellen Situation sehr schwierig. Da kann man die Situation nur stabilisieren, aber einen weiteren starken Anstieg nur schwer eindämmen", so Popper. Die Frage sei, wie man ein Mittelmaß finde, das ein möglichst normales Leben ermöglicht, aber dennoch die Dynamik bricht - jetzt gilt es schnell und kurzfristig die Zahlen herunter zu bekommen.

Maßnahmen wie Homeschooling oder Homeoffice hätten ebenfalls einen reduzierenden Einfluss auf das Infektionsgeschehen, würden aber in Relation zu den Freizeitkontakten im Modell als einzelne Maßnahme eine geringere Rolle spielen. Die Summe aller Maßnahmen macht es aus. Speziell bei Schulschließungen müsse man sich auch die Frage stellen, inwieweit und wo das gesellschaftlich zumutbar sei.

Ohne Testen und Tracen geht es nicht

Neben der Kontaktreduktion hält es Popper auch für entscheidend, das Testen, Tracen und Isolieren aufrechtzuerhalten, auch wenn es bei höheren Infektionszahlen überproportional schwieriger werde. Dass die Aufklärungsrate in letzter Zeit stark sinke, sei ein Zeichen, dass das Testen und Nachverfolgen nicht mehr gut funktioniere.

"Da ist die Frage, wie wir es schaffen, dafür in Zukunft, mehr Ressourcen zu haben - denn es ist ein Irrglaube, dass man das ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr braucht", so der Experte. Denn wenn der Gegendruck durch Testen, Tracen und Isolieren wegfalle, beschleunige sich der Anstieg noch einmal schneller. Das dürfte auch jetzt einer der beitragenden Effekte der vergangenen Tage gewesen sein - das müsse man in der nächsten Zeit genauer analysieren.