Der erste einer Reihe von virtuellen Sondergipfeln startet morgen Abend, um die europäischen Corona-Maßnahmen besser koordinieren zu können. Im Vorfeld steckte EU-Ratspräsident Charles Michel das Terrain ab. Innerhalb weniger Wochen habe sich die Lage von besorgniserregend zu alarmierend verändert. "Jetzt müssen wir eine Tragödie verhindern." 16 Milliarden Euro stehen inzwischen für die Impfstoffforschung bereit, es könnte noch heuer einer gefunden werden – allerdings, so Michel, ist anschließend mit einer weit längeren Zeit zu rechnen, bis eine Impfung allen Europäern zugänglich ist. Vertreter der EU-Kommission hatten am Dienstag durchsickern lassen, dass es sogar bis Ende kommenden Jahres dauern könnte.

„Jeder Tag zählt“, so Michel, der auf die zwei Säulen Impfungen sowie Testen und Contact Tracing setzt. Die bisher verwendeten PCR-Tests seien schwer zu managen und man müsste zu lang auf die Ergebnisse warten, die Antigen-Tests seien hier eine wichtige Ergänzung, zumal das Ergebnis in 15 Minuten vorliegen kann. Aber, so Michel: „Wir dürfen hier die selben Fehler nicht noch einmal machen: wir müssen schauen, dass die Tests überall zugelassen und zugänglich sind.“ Das dürfe nicht wieder so ausarten wie im Frühjahr, als es ein Rennen um die Masken gab.

Der Ratspräsident will bessere Tracing-Systeme einsetzen; er meint damit eine in allen Ländern funktionierende App. Und schließlich müssten sich alle auf einheitliche Regeln für Selbstisolation, Quarantäne und Quarantäne-Dauer einigen. Es gelte, so Michel, das Chaos vom Frühjahr zu vermeiden.

Was die Kommission plant

Passend dazu hat nun die EU-Kommission weitere Vorschläge für eine bessere Koordination ausgearbeitet und setzt ebenfalls auf mehr Schnelltests und in ganz Europa nutzbare Tracing Apps. 19 der 27 Länder arbeiten mit oder an solchen Apps, bald sollen es 23 sein. Deutschland, Italien und Irland haben ihre Systeme bereits kompatibel gemacht, im Lauf des November sollen weitere Länder, darunter auch Österreich, in die Vernetzung mit eingebunden werden. Es habe insgesamt bereits 52 Millionen Downloads gegeben, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Die Kommission räumte ein, dass es bei den PCR-Tests in vielen Ländern zu Problemen kommt, weil sie entweder nicht leicht verfügbar sind oder die Testergebnisse zu lange auf sich warten lassen. Ergänzend dazu, aber nicht als Alternative, setzt die EU-Behörde nun auf die neuen Antigen-Schnelltests, die binnen 15 Minuten ein Ergebnis zeigen. Diese könnten gemeinsam für die EU-Staaten beschafft werden.

Bei den Impfungen gibt es aus Brüssel ebenso Hoffnung wie Ernüchterung: es sei durchaus denkbar, dass der Durchbruch noch heuer geschafft sei, doch dann beginnt ein weiterer Hürdenlauf. Zwischen 20 und 50 Millionen Impfdosen sind pro Monat vorstellbar – schließlich bedarf es auch noch des Personals und entsprechenden Materials wie Spritzen usw. Rund 700 Millionen Menschen könnten theoretisch im Lauf des kommenden Jahres eine Impfung bekommen, somit auch welche außerhalb der EU; auf jeden Fall müsste, so die Kommission, bis dahin auch geklärt sein, welche Personengruppen in welcher Reihenfolge drankommen.

Die Kommission verlängert nun auch die Zoll- und Steuerbefreiung beim Import medizinischer Ausrüstung, ebenso soll auch gewährleistet sein, dass Spitäler und Ärzte für Impfstoffe oder Testkits keine Steuern entrichten müssen. Die EU will so schnell wie möglich auch eine einheitliche Plattform schaffen, über die alle europäischen Krankenhäuser ihre Kapazitäten abklären können, sodass etwa Patienten aus einer stark betroffenen Region rasch verlegt werden können.

Noch offen, aber in Arbeit sind einheitliche Testprotokolle für Reisende, kommenden Monat will man auch mit einem einheitlichen Onlineformular für alle Mitgliedsländer fertig sein sowie einen gemeinsamen Ansatz für Quarantäneregelungen gefunden haben. Die „green lanes“ an den Grenzen werden beibehalten, vor allem aber versucht man die Mitgliedsländer davon zu überzeugen, Maßnahmen beim Grenzverkehr nicht nur bilateral, sondern allgemein transparent zu treffen.

Weihnachten wird heuer anders

Zu den bevorstehenden neuen Lockdowns befragt, sagte Ursula von der Leyen „Weihnachten wird dieses Jahr anders werden.“ Der wissenschaftliche Berater der Kommission, Peter Piot, ergänzte, dass sich alle Entwicklungen der kommenden Wochen beim besten Willen nicht voraussagen ließen. Er hielt aber fest, dass die Bereiche Volksgesundheit und Wirtschaft nicht als Gegenpole zu sehen seien: „Die Länder mit der höchsten Erkrankungsrate und den größten Problemen im Gesundheitsbereich sind auch die, die mit den schwersten wirtschaftlichen Auswirkungen zu rechnen haben.“ Von der Leyen ergänzte, man müsse jetzt mit der Erfahrung des ersten Halbjahres agieren: „Wir haben vieles in die richtige Richtung unternommen, aber auch vieles zu rasch umgesetzt, etwa bei den Lockerungen. Jetzt sind wir mitten in der zweiten Welle und wir haben es mit zwei Feinden zu tun: Dem Virus selbst - und einer zunehmenden Müdigkeit bei allen Vorsichtsmaßnahmen im Kampf gegen die Pandemie." Deshalb sind auch Kommunikationskampagnen vorgesehen, die sich auch gegen Falschinformationen wenden. "Wir müssen das Virus eindämmen, bis wir einen Impfstoff und bessere Mittel in der Hand haben, um die Gesundheit aller zu schützen", rief sie zum Durchhalten auf. Es sei jetzt nicht die Zeit, locker zu lassen.