Gesundheitsangelegenheiten sind Sache der Mitgliedsländer, die EU hat in diesem Bereich kaum Kompetenzen und kann daher keine verpflichtenden Vorgaben machen. Um das Durcheinander bei Corona-Maßnahmen und die völlig unterschiedlich fundierten Einschränkungen im Reiseverkehr auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, haben am Mittwoch die Botschafter der Mitgliedsländer das jeweilige Interesse und die Bereitschaft ausgelotet, hier gemeinsam vorzugehen. Ein wichtiger Schritt, der Anlass zur Hoffnung gibt.

Es sei ein guter und wichtiger Austausch zum Thema gewesen, so ein EU-Diplomat nach dem Treffen zur Kleinen Zeitung: „Es gab große Übereinstimmung, dass ein gemeinsames Interesse an einer engeren Koordinierung in der EU besteht.“ Die Arbeit werde nun intensiv fortgesetzt. Am kommenden Montag wird das zuständige Gremium IPCR erneut beraten. „Die Konzentration erfolgt zunächst auf die Themen Vergleichbarkeit von epidemiologischen Daten sowie Kommunikation. Die Empfehlungen der Kommission sollen berücksichtigt werden“, so der Diplomat. Die EU-Kommission will noch diese Woche Leitlinien ausgeben. Nicht zum ersten Mal übrigens, schon während des Sommers hatte es mehrmals solche Empfehlungen gegeben, die allerdings von den Ländern nur nach Gutdünken umgesetzt wurden - oder gar nicht. Dabei geht es unter anderem um die wissenschaftliche Basis und die Maßnahmen, ob also zB Quarantäne 10 oder 14 Tage dauern soll oder wie ein Ampelsystem in allen Ländern gleich aufgebaut sein kann.

In einem Grundsatzpapier haben die Mitgliedsländer fünf Punkte ausgemacht, bei denen dringender Handlungsbedarf besteht.

  • Daten sollen überall auf gleiche Weise betrachtet werden. In einem Land werden zum Beispiel nationale Auswertungen herangezogen, im anderen Land schaut man auf regionale Daten
  • Kriterien und Indikatoren, die eine Folgewirkung haben, sollen einheitlich gehandhabt werden. Die einen schauen auf Testraten, die anderen auf die Zahl der bekannten Fälle (die wiederum von den Raten abhängig sind und wer getestet wird), die dritten reagieren nur dann, wenn Cluster auftreten usw.
  • Gefahrenzonen werden höchst unterschiedlich definiert; also Gebiete innerhalb eines Landes, die höhere Werte aufweisen als andere und wie man dann mit solchen Fällen umgeht.
  • Maßnahmen unterscheiden sich total - einmal muss man 10 Tage in Quarantäne, einmal 14 Tage, einmal muss ein negativer Test maximal 48 Stunden alt sein, das nächste Mal 72 Stunden usw.
  • Kommunikation ist ebenfalls ein Punkt - oft kommt die Information über gesperrte Grenzen oder Regionen erst im letzten Moment, benachbarte Länder werden von Maßnahmen überrascht und Reisende wissen oft nicht, welche Regeln gerade wo gelten.

Für das EU-Parlament drückte Präsident David Sassoli aus, dass es höchst an der Zeit ist: „Es herrscht zu viel Verwirrung. Jeder Mitgliedstaat handelt für sich. Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen erwarten hingegen eine gemeinsame Antwort, klare Handlungsanweisungen und Transparenz bei der Definition von Risikogebieten. Die Lage ist ernst. Nur eine Koordinierung durch die Europäische Kommission kann sicherstellen, dass die Bestimmungen vereinheitlicht werden und dass Diskriminierung vermieden sowie dem Bedürfnis aller EU-Bürger nach einem klar definierten Rahmen Rechnung getragen wird.“

Und weiter heißt es: „Wir müssen Chaos vermeiden. Dazu ist es dringend notwendig, dass die nationalen Regierungen, die für die Gesundheitspolitik verantwortlich sind, die Europäische Kommission bitten, eine aktive koordinierende Rolle bei der Festlegung gemeinsamer Regeln zu übernehmen. Ich bin überrascht, dass dies nicht bereits geschehen ist, wie die Bürger es erwarten. Wir befinden uns noch immer mitten in einer Notlage, und nur klare EU-weite Regeln können eine wirksame Reaktion auf die weitere Verbreitung von COVID-19 ermöglichen.“

Noch diese Woche werden die EU-Gesundheitsminister beraten, es ist anzunehmen, dass die Koordination der Maßnahmen auch eines der Hauptthemen am EU-Sondergipfel am 24. und 25. September sein wird.