• Heute Montag (18.00 Uhr MESZ) startet der Parteitag zunächst mit Arbeitstreffen. Erst am Abend (Ortszeit/ab 03.00 MESZ) wird publikumswirksames Programm für zwei Stunden übertragen. So soll es auch an den darauf folgenden Tagen weitergehen. Den Beginn machen unter anderem die ehemalige First Lady Michelle Obama und der frühere Senator und Bidens unterlegener Vorwahlrivale Bernie Sanders.  Auch sollen sich die Gouverneure Gretchen Whitmer (Michigan) und Andrew Cuomo (New York) äußern, die sich in der Corona-Krise profiliert haben.
  • Am Mittwoch stehen Ex-Präsident Barack Obama und Bidens Vize-Kandidatin Kamala Harris auf dem Programm.
  • Höhepunkt ist Bidens Rede am Donnerstagabend (Freitagfrüh MESZ), die er im US-Bundesstaat Delaware halten will.

Bist du bereit mit der Arbeit zu beginnen?”, lautete die lapidare Frage des angehenden demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden an seine frisch gebackene Vizekandidatin Kamala Harris am vergangenen Dienstag. Zumindest gemäß eines vom Wahlkampfteam veröffentlichen Videos. Das Gespräch fand wie so viele andere seit Beginn der Coronakrise über Videolink statt. Biden wirkte seltsam hölzern.

Die Emotionen sowie die historische Bedeutung – im Jänner 2021 könnte die erste Amerikanerin mit jamaikanischen und indischen Wurzeln als Vizepräsidentin ins Weiße Haus einziehen – schienen irgendwo im Cyberspace verloren zu gehen. Das ist vor allem Biden zuzuschreiben: Weder Laptop, Videolink, noch das iPhone, welches er falsch herum hielt, schienen ihm ganz geheuer. Bidens Politikstil baut auf physische Nähe und auf „straight talk“ des Arbeitermilieus.

Transformation der Demokraten

Dennoch fasste der Moment in Miniatur gut die historische Transformation der Demokraten zusammen, die ab Montag und bis Donnerstag in der Stadt Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin bzw. wegen der Coronakrise vor allem online stattfindet.

Auf der einen Seite Biden, der für die in die Jahre gekommen alte Demokratische Koalition des 20. Jahrhunderts steht, die sich vor allem durch ihre Nähe zur weißen organisierten Arbeiterschaft in den mittelgroßen Industriestädten ausgezeichnet hat. Auf der anderen Seite die Repräsentantin der Partei des 21. Jahrhunderts: die Tochter von zwei farbigen Migranten, die aus einem Zentrum der globalen Informationsrevolution, der Großstadt San Francisco, stammt, und progressive Parteigänger ansprechen soll. Biden gilt, sollte er gewählt werden, als Übergangspräsident, der nach vier Jahren den Weg ins Weiße Haus für Repräsentanten und Repräsentantinnen dieser neuen Generation freimacht. Das Gespräch letzte Woche vereinte symbolisch zwei Pole der Partei. In diesem Sinne, fängt die Arbeit für Biden und Harris nicht erst an, sondern ist, was die Einheit der Partei betrifft, bereits erledigt. Zumindest auf den ersten Blick.

Schreckensjahr 2016

Es ist nicht zu erwarten, dass sich das annus horribilis 2016 wiederholen wird, in dem Unterstützer des selbst ernannten Sozialisten und damaligen Bewerbers für die Präsidentschaftskandidatur, Bernie Sanders, der Kandidatin Hillary Clinton am Parteitag einfach die Gefolgschaft verweigerten.

Biden versuchte in den vergangenen Monaten gezielt interne Kritiker in sein Lager zu holen. So wird etwa die große politische Hoffnung des linken Flügels, Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, am Parteitag diese Woche sprechen. Noch im Jänner hatte sie gesagt, dass „Joe Biden und ich in jedem anderen Land nicht in der gleichen Partei wären“. Damit hat sie recht: Die Partei besteht aus diversen Interessensgruppen, dessen österreichisches Pendant eine Koalition bestehend aus Elementen der ÖVP, NEOS und der Grünen sein würde. In den letzten fünf Jahren ist die Partei stetig nach links gerutscht, was sich auch im Wahlkampfprogramm widerspiegelt. Biden, basierend auf Ideen von Arbeitsgruppen unter der Leitung von Sanders, will groß in die Infrastruktur des Landes investieren, bessere, staatlich subventionierte medizinische Versorgung garantieren und eine Klimaschutz freundliche Wirtschaftspolitik betreiben.

Dennoch ist nicht alles eitel Wonne in der Partei. Trotz des progressivsten Wahlkampfprogramms eines Präsidentschaftskandidaten in der Geschichte der Demokratischen Partei, gelten Biden und Harris intern als moderate Zentristen. Im Gegensatz zum linken Flügel fordern sie weder die Zerschlagung der großen Silicon Valley Tech Firmen, noch die Abschaffung einzelner Polizeibehörden, oder die Entkriminalisierung von illegalen Grenzüberschreitungen.

Was das Progressive betrifft, so spricht für Harris vor allem ihr Geschlecht und ihre Hautfarbe. Es ist aber unklar, inwiefern Harris wirklich dazu beitragen wird, junge schwarze Wählerschichten zu mobilisieren. Im Vorwahlkampf wählten jene Wähler unter 30 mehrheitlich Elizabeth Warren oder Bernie Sanders (ältere schwarze Wähler zogen Biden Harris vor). Ihr Wahlkampf kam nie richtig in Schwung, und sie musste schon früh das Handtuch werfen. Letztendlich wird die Mobilisierung der jungen Demokratischen Wählerschicht daher mit großer Wahrscheinlichkeit von Sanders und Warren abhängen.

Kompromiss-Kandidaten

Letztendlich sind Biden und Harris aber Kompromiss-Kandidaten. Der Enthusiasmus unter Demokraten für die beiden wird aber sowieso hauptsächlich durch die Ablehnung der Politik von Donald Trump genährt.

Den Progressiven ist klar, dass seine Abwahl politische Zweckgemeinschaften fordert, um die weißen Mittelschichtwähler in den Vorstädten von „Swing States“, sowie schwarze Wähler im urbanen Raum zu gewinnen. Das funktioniert nur mit einer geschlossenen Wahlkampfplattform. In diesem Sinne ist Trump ein wichtiger Faktor in Sachen Einung diverser Demokratischer Fraktionen.

Dieser Zweckpragmatismus zeigte sich schon im Frühjahr, als nach Joe Bidens Erdrutschsieg in den Vorwahlen in South Carolina die Partei plötzlich geschlossen hinter Biden stand. Zu tief saß der Schock von 2016 und des Dramas um das Match zwischen Clinton und Sanders. Man wollte auch Fehler der Republikaner vermeiden, deren Kandidaten sich im Vorwahlkampf 2016 nicht geschlossen gegen Trump gestellt hatten - bis es zu spät war, seinen Siegeszug zu stoppen. Sollte Biden tatsächlich im Jänner 2021 ins Weiße Haus einziehen, bleibt aber abzuwarten, wie lange die Geschlossenheit in der Partei anhalten wird.