Der Coronakrise folgt die soziale Katastrophe. Die Schlangen jener, die vor den Suppenküchen in Spanien anstehen, werden immer länger. „Hungerschlangen“ nennen die Medien diese Reihen, in denen Hunderte auf Essenspakete warten. „Viele Familien befinden sich am Limit“, beschreibt ein Caritas-Bericht die Lage.

„Ich hätte nie gedacht, dass es in Spanien einmal solch riesige Schlangen geben würde, um etwas Essbares zu bekommen“, sagt Pfarrer Ángel García, der mit seiner Hilfsorganisation „Mensajeros de la Paz“ (Boten des Friedens) populär geworden ist. Viele jener, die vor Garcías Kirche San Antón in Madrid um Lebensmittel bitten, haben wegen der Corona-Ausgangsbeschränkungen und des weitgehenden Wirtschaftsstillstandes Arbeit und Einkommen verloren. „Wir verteilen landesweit jeden Monat 16 Millionen Kilo Lebensmittel“, berichtet Miguél Fernández vom Dachverband der gemeinnützigen Lebensmittelbanken. Die Vorräte dieser Nahrungsbanken stammen aus Spenden des Handels und von Privatleuten. Die Rationen werden an Kirchen, Nachbarschaftsvereine und Sozialverbände weitergeleitet, die derzeit Zehntausende Familien mit Nahrung versorgen.

Schon vor der Epidemie waren in Spanien laut Eurostat 26,1 Prozent der Bevölkerung von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht – im EU-Schnitt sind es 21,8 Prozent. Nachdem in den letzten Monaten knapp eine Million Menschen entlassen und 3,5 Millionen in Kurzarbeit geschickt wurden, wuchs die Not. Viele Kurzarbeiter haben bis heute nicht das versprochene staatliche Geld bekommen. Besonders arm dran sind Beschäftigte der Schattenwirtschaft oder mit befristeten „Müllverträgen“ – sie haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. So wie die 37-jährige Cristina Pérez, die in Madrid als Kellnerin arbeitete und deren Zeitvertrag wegen Corona nicht verlängert wurde. „Ohne die Essensspenden könnte ich nicht überleben.“ Sie muss fürchten, demnächst auch ihre Mietwohnung zu verlieren.

Grundeinkommen vorgezogen

Spaniens wohltätige Speisetafeln bekommen die neue Not zu spüren: Die Zahl der Hungernden, die vor den Suppenküchen stehen, habe sich vervielfacht, sagen die Helfer. Besonders groß ist die Misere in den südlichen Arbeiterbezirken Madrids – dort sind die Hungerschlangen am längsten. „Das ist ein sozialer Tsunami“, sagt Pepe Aniorte, der in Madrids Rathaus für Sozialpolitik zuständig ist. Es sei zunehmend auch der Mittelstand betroffen: „Es kommen Familien, die niemals gedacht hätten, dass sie einmal um Hilfe bitten müssen.“

Spaniens Mitte-links-Regierung aus Sozialisten und dem Linksbündnis Podemos machte nun einen revolutionären Schritt: Sie beschloss ein bedarfsabhängiges „existenzielles Grundeinkommen“, dessen schon länger geplante Einführung wegen des Corona-Dramas vorgezogen wurde. Es ist eine staatliche Sozialhilfe, die es bisher landesweit nicht gab und schon von diesem Juni an gezahlt wird. Mittellose Alleinstehende haben Anspruch auf maximal 462 Euro im Monat, Familien auf 1015 Euro. Damit will Sozialminister José Luis Escrivá rund 850.000 Haushalten, die in extremer Armut leben, ein würdigeres Leben ermöglichen. Die jährlichen Kosten belaufen sich auf drei Milliarden Euro.