Es war dringend an der Zeit. So sehr man Verständnis haben konnte für das panikartige Schließen der Grenzen nach dem Ausbruch der Pandemie, so wirr und unverhältnismäßig war das Beharren darauf in den letzten Tagen und Wochen. Wir müssen davon ausgehen, dass das als Argument verwendete Zahlenmaterial aus den Ländern mit Vorsicht zu genießen ist (allein schon der Umstand, dass die Zahl der registrierten Infizierten unmittelbar mit der extrem variierenden Zahl der durchgeführten Tests zusammenhängt, lässt den Wert an Aussagekraft verlieren), aber der Trend ist derzeit für alle Länder Europas ersichtlich und geografische, politische und somit willkürliche Absperrungen zwischen Ländern sind nichts, was die Verbreitung des Virus wirklich beeinflusst. Selbst bilaterale Abkommen und das Herantasten an die alte Normalität können nur begrenzt funktionieren. Wie man an den nun hoffentlich beigelegten Divergenzen zwischen Österreich und Slowenien sieht, erwecken sie umgehend den Verdacht rein politischer oder wirtschaftlich fundierter Entscheidungen – zum Wohl Einzelner, nicht des Ganzen. Italien hat hier eine Sonderstellung, aber wir dürfen der Ankündigung der Regierung Vertrauen schenken, dass eine schrittweise Öffnung auch hier schon zeitnahe möglich ist – immerhin führen ja viele, wenn schon nicht alle Wege nach Rom. Und wieder zurück.

Das Öffnen der Grenzen ist im Augenblick also die richtige Entscheidung – die Gefahr, die durch eine Normalisierung der Reise- und Bewegungsfreiheit ausgeht, ist nicht die, um die wir uns Sorgen machen müssen. Was uns vielmehr beschäftigen sollte, ist die Leichtfertigkeit, mit der viele Menschen auf diese wieder gewonnene Freiheit reagieren. Die Öffnung der Urlaubsrouten ermöglicht es Hunderttausenden, nach Wochen des Lockdowns und der Ungewissheit, an die Orte der Erholung und des Freizeitvergnügens zu reisen, die Öffnung gibt dem schwer angeschlagenen Tourismus die Chance, langsam wieder in Gang zu kommen und am Beginn der Sommersaison Hoffnung zu schöpfen – aber sie ist kein Freibrief für alles. Die Pandemie ist nicht einfach so beendet worden, sie ist immer noch da und kann jederzeit wieder ausbrechen. Nicht umsonst warnt auch Außenminister Schallenberg davor, dass die Lockerungen jederzeit wieder zurückgenommen werden können, wenn sich die Lage wieder verschlechtert.

Die offenen Grenzen geben uns unsere Freiheit zurück; auch die Freiheit, wie wir mit den neuen Regeln umgehen. Und hier ist schon wieder Schlimmes zu befürchten: Bilder, die uns etwa aus Berlin (von einem lustig gemeinten Schlauchboot-Happening, das distanzmäßig völlig aus dem Ruder lief) oder von der Ferieninsel Sylt erreichen, Bilder, die zeigen, wie schnell man in einem soeben wieder eröffneten Ausgeh-Lokal selbst die einfachsten Distanzregeln nicht mehr einhält, sollten uns aufrütteln.

Die Grenzen sind nicht und waren nie das Problem, es sind wir Menschen und unser Hausverstand, die über den weiteren Verlauf der Pandemie entscheiden. Das lässt einiges befürchten.