Die Mathematiker waren heute am Wort. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) holte sie an seine Seite, um ausführlich zu begründen, warum Österreich mit Zeitpunkt und Umfang der Corona-Maßnahmen (die zunehmend kritisiert werden) richtig lagen. Fazit:

  • Die Grundrichtung habe gestimmt.
  • Wenn Österreich nur sieben Tage später reagiert hätte, hätte es eine vierfache Zahl an Infizierten gegeben.
  • Die Zahl der Intensivpatienten wäre auf knapp 1.000 gestiegen und hätte die Spitäler damit tatsächlich an den Rand ihrer Kapazitäten gebracht.
  • Bei 14 oder 21 Tagen später wären die Zahlen explodiert

Popper: Bei der Simulation kam heraus, dass eine Reaktion erst sieben Tage später zum Höhepunkt der Pandemie Ende März mit rund 40.000 positiv getesteten Fällen geführt hätte. Durch die gesetzten Maßnahmen waren es damals dagegen rund 10.000 aktive Fälle. 

Die Zahlen bestätigten auch den Weg der vorsichtigen Öffnung, denn, so Anschober: "Das Virus ist nicht auf Urlaub gefahren, es ist nach wie vor da."

37 Neuinfektionen gab es zuletzt, nur noch 674 aktiv Erkrankte. Eine Reaktionszeit von 3,8 Tagen, bis Infizierte aus dem Kontaktnetzwerk herausgenommen werden und niemanden mehr anstecken können, bedeute ein langsames Wachstum der Zahlen. "Wenn wir länger brauchen, um Menschen rauszunehmen, bei 5,7 Tagen etwa, geht die Kurve sehr schnell wieder nach oben", erläuterte Popper. Er plädierte dafür, die Reaktionszeit zu verkürzen. "Reduzieren wir in dem Fall auf 1,9 Tage, sehen wir, dass wir viel mehr Maßnahmen und Lockerungen aushalten können."

Der Simulationsforscher Niki Popper hat errechnet, was passiert wäre, wenn Österreich anders reagiert hätte.
Der Simulationsforscher Niki Popper hat errechnet, was passiert wäre, wenn Österreich anders reagiert hätte. © Gesundheitsministerium

Popper betonte ebenso wie Herwig Ostermann, Geschäftsführer von Gesundheit Österreich, dass man sich derzeit in einem "Präventionsparadoxon" befinde. Dieses Phänomen beschreibt, dass man Maßnahmen ergreift, damit etwas nicht eintritt, dann der Erfolg der Präventionsmaßnahmen aber paradoxerweise zu Unzufriedenheit führt.

Auf den richtigen Zeitpunkt sei es angekommen, und dieser Zeitpunkt habe gestimmt, bestätigten die Experten Herwig Ostermann und Niki Popper. Jetzt gehe es darum, die konsequenten, aber vorsichtigen Schritte der Öffnung mit einer Verbesserung des "Contact Tracing" zu verbinden. Die Zeit zwischen Erkennen der Infektion und Isolierung der Kontaktpersonen müsse tunlichst noch weiter verkürzt werden. Anschober: "Dann wird es mit der Rückkehr zum gesellschaftlichen Alltag funktionieren. Aber dazu muss wieder jeder seinen Beitrag leisten."

Ab 29. Mai sind in Österreich wieder Hochzeiten und Begräbnisse mit bis zu 100 Personen erlaubt. Das geht aus der vom Gesundheitsministerium veröffentlichten Novelle der "COVID-19-Lockerungsverordnung" hervor. Ebenfalls ab Freitag gilt in Schlaflagern und Gemeinschaftsschlafräumen ein Sicherheitsabstand von eineinhalb Metern - nicht wie ursprünglich angekündigt zwei Meter.

"Es ist noch nicht vorbei"

Anschober teilte mit, an den Details werde noch gefeilt. Es sollten möglichst einfache Regelungen werden, auch wenn die Lebenssituationen der Menschen sehr komplex seien.

Was regionale Schritte betrifft, zeigte sich Anschober offen für die Vorschläge der Länder, warnte allerdings: "Wir dürfen nicht das falsche Signal aussenden. Es ist leider nicht vorbei. Wir müssen nach wie vor konsequent handeln, sonst geht die Kurve wieder nach oben." Österreich sei ohnehin auch in Sachen Öffnung international Spitzenreiter.

Das Vorziehen der Öffnung auch der Kinos begründete Anschober damit, dass das sonst eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Kulturveranstaltern gewesen wäre.

Das Lernen aus der Vergangenheit sei entscheidend auch für allfällige Maßnahmen in der Zukunft. Das Problem: Durch die Gleichzeitig der Maßnahmen kann, anders als in Deutschland, noch nicht präzise gesagt werden, welche Wirkung genau etwa die Schließung der Schulen oder die Schließung der Geschäfte entfaltet habe. Dazu komme: Es gibt kaum Daten, die belegen, wie ansteckend infizierte Kinder sind.

Die weiteren Schritte: Kommende Woche werde es weitere Details zu den Regelungen für den Sport geben. Und es werde eine Auswertung der Testungen in den Alten- und Pflegeheimen vorliegen, die die Planung der Öffnung in diesem Bereich ermöglicht.

Bis 15. Juni wird sodann ein präzises Konzept für die Öffnung der Grenzen erarbeitet - diesen Termin hat ja die EU-Staatengemeinschaft fixiert. Die Werte in manchen italienischen Regionen seien immer noch ein Problem, so Anschober. "An Lösungen arbeiten wir gemeinsam mit unseren Nachbarländern."