Expertin Maria Hofmarcher-Holzhacker steigt im Gegensatz zu ihren Kollegen Ernest Pichlbauer und Thomas Czypionka aber ein wenig auf die Bremse. Zunächst müsse der ambulante Bereich breit aufgestellt werden, sagte sie zur APA.

Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) meinte am Montag im "Standard", dass das glimpfliche Abschneiden des Landes nicht mit der hohen Anzahl an Akutbetten (rund 5,5 pro Tausend Einwohnern) zusammenhänge. Die Gegenbeispiele erklärt er mit anderen Faktoren: In Norditalien etwa hätten die vielen chinesischen Arbeiter in der Textilindustrie das Virus stark verbreitet. Vor allem aber spiele die Wohnsituation, konkret das Zusammenleben von Jung und Alt, eine entscheidende Rolle.

Auch der Annahme, dass viele Spitalsbetten eine gute Versicherung gegen weitere Infektionswellen seien, widersprach er. Nur alle zehn bis 20 Jahre sei mit einer Pandemie zu rechnen, da sollte ein Land besser in die Vorsorge investieren statt in über lange Zeit überflüssige Infrastruktur. Es brauche Frühwarnsysteme, bei denen ein Stab aus Spezialisten rasch die richtigen Maßnahmen setzt, und die nötige Grundausstattung.

Während Ökonom Pichlbauer dem auf APA-Anfrage beipflichtete und ein Umschichten der Mittel in die Versorgung chronisch Kranker und der Pflege forderte, zeichnete Hofmarcher-Holzhacker ein differenzierteres Bild. Natürlich gebe es Ineffizienzen und die Notwendigkeit von Kapazitätsanpassungen, aber die hohe Bettenzahl habe in der Coronakrise vertrauensbildend gewirkt. "Das halte ich atmosphärisch für wichtig" sagte sie und sprach vom "intangiblen Nutzen".

Bettenabbau bereits vorgenommen worden

Nicht vergessen dürfe man auch, dass zuletzt, konkret von 2008 bis 2018, die tatsächliche Bettenzahl in Fondskrankenanstalten bereits um 4.416 auf 44.183 zurückgenommen worden sei. Allein im Jahr 2018 habe das eine Kostenersparnis von mehr als 800 Mio. Euro gebracht, kumuliert in den zehn Jahren rund 4,2 Mrd. Euro. Allerdings sei die Personalquote pro Bett in diesem Zeitraum gestiegen.

Außerdem, so Hofmarcher-Holzhacker, müsse sichergestellt sein, dass die ambulante Versorgung inklusive mobiler Pflege breit aufgestellt sei, bevor man sich der Kapazitätsanpassung im Spitalsbereich widme. Sie appellierte hier für einen gemeinsam von Sozialversicherung und Ländern gespeisten Finanzierungstopf, mit Vorgaben des Bundes.

Kritik an Forderung 

Aus der Ärztekammer kam indes eine klare Absage an den Abbau von Spitalsbetten. Aussagen, dass man auch mit der Hälfte ausgekommen wäre, gingen "deutlich und auch sehr gefährlich" an der Realität vorbei, meinte Vizepräsident Wolfgang Weismüller in einer Aussendung.

Statistiker mögen ihre Zahlen lieben, die Einschätzung der Arbeit im Spital ist dann aber doch etwas für die Ärztinnen und Ärzte.

Auch Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) stellte sich am Montag vehement gegen die Forderung der Gesundheitsökonomen, Spitalsbetten abzubauen. Als größtes derzeitiges Problem im Gesundheitswesen sieht er den Einnahmeneinbruch der Sozialversicherungen. Für die Kassen müsse es hier Geld aus dem Budget geben.

"Ich finde es absurd, diese Debatte jetzt führen zu müssen", ärgerte sich Hacker. Es sei gerade die Stärke des Gesundheitssystems, die in der Pandemie einer der Erfolgsfaktoren gewesen sei. 100 Mitarbeiter in der Rudolfstiftung oder auch eine ganze Geburtenabteilung in Quarantäne abfangen zu können, habe nur funktioniert, weil man die notwendigen Reserven gehabt habe. Die Menschen würden dies schätzen, die Debatte sei daher bereits eindeutig entschieden.

Die zitierten Experten sitzen nach Ansicht Hackers auch einer Fehleinschätzung der Zahlen aus den Coronadashboards auf. Dass so viele freie Kapazitäten ausgewiesen gewesen seien, liege daran, dass tausende Operationen bewusst nicht durchgeführt worden und Behandlungen nach hinten verschoben worden seien. Wer daraus ableite, dass das Angebot in den Spitälern viel zu groß sei, sei in Wirklichkeit der Meinung, dass Patienten nicht behandelt werden sollten.

Dass die Experten gerade jetzt auf den Platz treten und das Gesundheitssystem als zu groß titulierten, ist für den Stadtrat nicht verwunderlich. Wegen des Wirtschaftseinbruchs hätten die Krankenversicherungen nämlich ein Einnahmenproblem. 400 Mio. Euro seien es bisher schon weniger, dazu kämen 800 Mio. Euro an gestundeten Krankenversicherungsbeiträgen. Insgesamt könnte sich all dies auf eine Delta von einer Mrd. Euro, vielleicht mehr, summieren, so Hacker.

Von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) sei hier nichts zu hören, dabei brauche es einen aus dem Bundesbudget dotierten Hilfsfonds für das Krankenversicherungssystem. "Alle Landesräte machen sich genau in dieser Frage Sorgen", erklärte er, vom Bund gebe es aber keine entsprechenden Signale. Es gelte, den ganzen Sozialversicherungsbereich auszubauen, andernfalls drohe die Verschiebung in den Bereich der Privatfinanzierung.