Schlangen vor Friseursalons, volle Einkaufstraßen, Menschengruppen in Parks. Aktuelle Bilder aus Wien lösen im Internet zur Zeit bei manchen Unbehagen aus. „In zwei Wochen gibt's den nächsten Lockdown “, wird kommentiert, oder: „Semmering schließen!
Auch im Innenministerium ist man alarmiert, wie es im Büro von Minister Nehammer (ÖVP) heißt: „Der Fokus ist berechtigt: Die Hälfte aller Neuinfektionen gibt es in Wien.“

Die Zahl der aktiv Erkrankten steigt derzeit nur in Salzburg und in Wien, hier in einem größeren Ausmaß. Absolut gesehen sind die Zahlen allerdings auch in Wien sehr niedrig: Gestern gab es 567 Erkrankte. Zwischen 11 und 37 neue Fälle kamen in der letzten Woche pro Tag dazu.

„Die Zahlen werden wieder steigen“, sagt der zuständige Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). „Der wesentliche Faktor ist, wie schnell sie wie hoch steigen, und wie schnell sich das Wachstum wieder eindämmen lässt.“

Die Kurve ist höher, aber flach

Dass die Infektionszahlen auf niedrigem, aber relativ stabilem Niveau bleiben, überrascht auch im medizinischen Krisenstab der Stadt nicht. „Unsere Kurve verläuft höher als die anderer Bundesländer, aber sie ist immer noch recht flach“, sagt Andreas Huber, der Sprecher des Krisenstabes. Entspannt sei man dort zwar nicht, aber auch nicht alarmiert. Man habe die Situation gut im Griff. Die Zahl der Covid-Patienten im Spital geht konstant zurück. Und: „Wir können bisher bei so gut wie jeder Infektion genau zurückverfolgen, wo die Ansteckung stattgefunden hat“, sagt Huber. In vielen Fällen sind das Ansteckungen im familiären Bereich oder bei Bekannten. Kein einziger Fall ist auf eine zufällige Begegnung etwa im Supermarkt oder im Park zurückzuführen.

Die zuletzt steigenden Zahlen ergeben sich auch daraus, dass seit zwei Wochen alle Bewohner und Mitarbeiter von Betreuungseinrichtungen - von Altersheimen bis zu Flüchtlingsquartieren - flächendeckend getestet werden. Egal, ob sie Symptome hatten, oder nicht. Mehr als 5000 solcher Tests fanden in den letzten zwei Wochen statt. Das Ergebnis wirkt in der Statistik womöglich dramatischer, als es ist, etwa wenn der positiv Getestete ohnehin bereits in Quarantäne war, weil es im Pflegeheim bereits einen Verdachtsfall gab.

Quarantäne in der Messehalle

Die Zahlen in die Höhe trieben zuletzt auch mehrere Infektionen in einer Flüchtlingsunterkunft. Alle 300 Bewohner wurden evakuiert und sind nun in der zur Corona-Betreuungsstation umgemodelten Messehalle untergebracht. Da hier sonst keine Patienten sind, können sie gut voneinander getrennt werden.


Kritisch wird es erst, wenn sich neueInfektionscluster bilden, oder sich Infektionen gar nicht mehr zurückverfolgen lassen, sagt Hacker. Das sei derzeit aber nicht der Fall. Für eben diese Rückverfolgung von Infektionsketten bot Innenminister Nehammer den Gesundheitsbehörden der Länder zuletzt Unterstützung an. In der Steiermark und Oberösterreich telefonieren bereits Mitarbeiter des Landeskriminalamts Infizierte durch, um die Kontakte der letzten Tage zu rekonstruieren und die wiederum zu verständigen. Dass dieses Angebot in Wien nicht in Anspruch genommen wird, versteht man im Innenministerium nicht.
„Derzeit haben wir keinen Bedarf“, heißt es dazu im Rathaus: „Wir haben in der Gesundheitsbehörde genug Mitarbeiter, die genau das machen und nur dafür abgestellt sind.“


Die Corona-Situation ist in der Millionenstadt Wien jedenfalls eine andere als im Rest Österreichs. Und auch ein wenig politischer. Denn im Herbst soll in Wien gewählt werden. Wie gut die Stadt das Virus und seine Folgen in den Griff bekommt, wird einen Einfluss auf das Wahlergebnis haben. Und nicht zuletzt darauf, ob die Wahl überhaupt stattfinden können wird.