Der Chef der türkischen Wahlbehörde hat den Sieg des Oppositionskandidaten Ekrem Imamoglu in der Istanbuler Bürgermeisterwahl bestätigt. Sadi Güven stellte am Montag das vorläufig offizielle Ergebnis der Wahl vom Sonntag vor. Demnach erreichte Ekrem Imamoglu von der größten Oppositionspartei CHP 54,21 Prozent der Stimmen.

Der Kandidat der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan, Binali Yildirim, unterlag mit 44,99 Prozent aller Stimmen. Der Kandidat der kleinen Saadet-Partei erhielt 0,55 der Stimmen, der der Vatan-Partei 0,17 Prozent der Stimmen.

"Wille des Volkes hat sich gezeigt"

Der Kandidat der türkischen Regierungspartei AKP, Binali Yildirim, hatte seine Niederlage bei der wiederholten Bürgermeisterwahl in Istanbul bereits eingestanden. Yildirim gratulierte seinem Rivalen Ekrem Imamoglu von der oppositionellen CHP am Sonntagabend bei einem Fernsehauftritt zu seinem Vorsprung und wünschte ihm viel Glück für seine künftigen Aufgaben. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat dem Oppositionskandidaten zu seinem Sieg bei der Bürgermeisterwahl in Istanbul gratuliert. "Der Wille des Volkes hat sich heute erneut gezeigt", schrieb Erdogan am Sonntagabend im Kurzbotschaftendienst Twitter. "Ich gratuliere Ekrem Imamoglu, der laut den inoffiziellen Ergebnissen die Wahl gewonnen hat."

Laut vorläufigen Ergebnissen lag Imamoglu mit 53,8 Prozent der Stimmen klar vor Yildirim, der auf 45,3 Prozent kam. Der Abstand zwischen den beiden Kandidaten betrug nach Auszählung von 97,4 Prozent der Stimmen mehr als 740.000 Stimmen. Rund 10,5 Millionen Menschen waren aufgefordert, erneut den Bürgermeister der größten Stadt der Türkei zu wählen.

Imamoglu bezeichnete seinen Sieg als "neuen Beginn" für die Türkei. "Nicht eine einzelne Partei, sondern ganz Istanbul und die Türkei haben diese Wahl gewonnen", sagte Imamoglu am Sonntagabend nach Bekanntgabe der vorläufigen Wahlergebnisse.

Yildirim erkannte bei seinem Auftritt wenige Minuten nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse an, dass sein Rivale Imamoglu führt. "Ich gratuliere ihm und wünsche ihm viel Glück", sagte er. "Ich hoffe, dass Ekrem Imamoglu Istanbul gut dienen wird. Wir werden versuchen, ihm auf jede Weise zu helfen." Die Abstimmung zeige, dass "die türkische Demokratie ohne Probleme funktioniert". Die Wahl galt als wichtiger Test für die Demokratie in der Türkei. Der Sieg Imamoglus gilt dennoch als Rückschlag für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seine regierende AKP. 

Geregelter Ablauf

Keine besonderen Vorkommnisse meldeten davor die Wahlbeobachter aus Istanbul. Dort muss heute die Bürgermeisterwahl wiederholt werden, nachdem die Wahlkommission (YSK) das Ergebnis wegen angeblicher Regelwidrigkeiten annullierte. Sie gab damit einem Antrag der AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan statt, was international auf Kritik stieß. 

Die heutige Wahl wird national wie international aufmerksam beobachtet. Vielen gilt sie als Test für den Zustand der Demokratie im Land. "Wir hören hier von keinerlei Unstimmigkeiten", meldet die deutsche Grünen-Abgeordnete Margit Stumpp, die bereits mehrfach zur Wahlbeobachtung in der Türkei war. Sie habe diesmal keine Probleme gehabt, Wahllokale zu besuchen und mit Menschen zu sprechen. Sie sprach von einer "beachtlichen Wahlbeteiligung".

Renate Zikmund von der 14-köpfigen Beobachtermission des Europarates sagte, "alles in allem" sei die Wahl bisher geordnet verlaufen. Ihr Eindruck sei, dass die Chefs der Wahlkomitees das nötige Rüstzeug für ihre Arbeit hätten. "Organisatorisch ist alles aufgeboten worden, was man machen kann." Der Europarat mit Sitz in Straßburg wacht mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) über die Einhaltung der Menschenrechte in den 47 Mitgliedsstaaten.

Der Kandidat der Oppositionspartei CHP, Ekrem Imamoglu, hatte die erste Bürgermeisterwahl am 31. März überraschend und knapp gewonnen und damit den Kandidaten der Regierungspartei AKP, Binali Yildirim, geschlagen.

Imamoglu war der Erste seit langem, der sich erfolgreich der Machtmaschinerie der Partei entgegengestellt hatte. Damit wurde der bisher unbekannte Lokalpolitiker zum Shootingstar. Für Erdogan-Verdrossene ist sein Erfolg ein Zeichen dafür, dass politischer Wandel möglich ist. Einige sehen ihn ihm schon den nächsten Präsidenten der Türkei.

Wahl annulliert

Die Hohe Wahlkommission (YSK) annullierte das letzte Ergebnis allerdings Anfang Mai wegen angeblicher Regelwidrigkeiten - und gab damit einem Antrag der AKP statt. Hauptgrund war ausgerechnet eine Formalie. Auch international stieß das auf Kritik. Imamoglu sagte am Sonntag, es sei der Tag, um diese Ungerechtigkeit wieder auszugleichen.

Die Istanbuler wählten in der feuchten sonntäglichen Hitze mit Enthusiasmus und Entschlossenheit. Viele, die dpa-Reporter in Wahllokalen ansprachen, sagten, wie wichtig die Wahl für sie sei. Einige klangen aber auch ungeduldig. "Wir hoffen, dass es diesmal Gerechtigkeit gibt. Es fühlt sich nicht gut an, noch einmal zur Wahl gezwungen zu werden, obwohl wir doch einen Gewinner hatten", sagte im Stadtviertel Üsküdar ein Mann, der sich Firat nannte. Eine alte Frau namens Fatma rief: "Die CHP hat Stimmen gestohlen! Der Präsident hat es bewiesen. Sie werden keine Chance bekommen zu gewinnen."

Ein Mann, der als Reinigungskraft in einem Hotel im Viertel Beyoglu arbeitet, sagte, er habe Yildirim gewählt und das sei "von Herzen" gekommen. Er wohne in Zeytinburnu, wo die AKP sich gut um seine behinderte Tochter kümmere - bis hin zum kostenlosen Schultransport.

Bahar, eine Elektroingenieurin, war für die CHP Wahlbeobachterin. "Ich will einen Wechsel!", rief sie. Sie unterstütze den CHP-Kandidaten Imamoglu vor allem als Frau. Die AKP-Politiker hielten Frauen für "zweitrangig". Sie sei fest davon überzeugt, dass diesmal mehr Menschen wählen gingen als noch am 31. März. "Das ist ein Kampf für die Demokratie."

Wieder Proteste

Sollte die CHP siegen und die AKP diesen Erfolg wieder in Zweifel ziehen, werde es Proteste geben, sagte Bahar. "Wir können durchaus ein neues Gezi starten. Ich würde auf jeden Fall auf die Straße gehen und schreien, wie ich nur kann." Bei den Gezi-Protesten waren 2013 Hunderttausende auf die Straße gegangen, um gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Erdogan zu demonstrieren. Die Regierung ließ die Proteste blutig niederschlagen.

Wahlberechtigt sind rund 10,5 Millionen Menschen. Bei der Wahl am 31. März hatten rund 8,8 Millionen Menschen ihre Stimme abgegeben, was auf eine Wahlbeteiligung von 84 Prozent hinauslief. Diesmal rechnen Meinungsforscher mit einer Rekordbeteiligung.