Die Mittelschulverbindung "Germania" soll nun aufgelöst werden: Die Regierung leitet ein Auflösungsverfahren ein, nachdem die Nazi-Lied-Affäre nicht nur den niederösterreichischen Spitzenkandidaten sondern die gesamte FPÖ und mit ihr die Regierung ins Trudeln gebracht hatte. Das hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) vereinbart. Vor Beginn der Ministerratssitzung wurde die Presse informiert.

Kickl  präzisierte: Es bestehe - wegen des aufgetauchten Liederbuchs - der Verdacht auf strafbare Handlungen nach dem NS-Verbotsgesetz. Werden strafrechtliche Aktivitäten festgestellt, stehe am Ende des Verfahrens auch die Auflösung des Vereins.

Es sei davon auszugehen, dass Erkenntnisse aus den laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien gegen vier Personen auch in dieses Verwaltungsverfahren einfließen, sagte Kickl auf Nachfrage. Ob man konkret ein Gerichtsurteil abwarten muss, konnte der Minister nicht sagen. Nicht einschätzen wollte Kickl, bis wann das Verfahren beendet sein wird. Auch eine Einschätzung, ob es letztlich zur Auflösung der Burschenschaft kommen wird, wollte er nicht abgeben.

Verjährung könnte Problem sein

Vereinsrechtsexperte Thomas Höhne weist im Gespräch mit der APA darauf hin, dass es keiner strafrechtlichen Verurteilung bedürfe. Die Vereinsbehörde fälle selbst ein Urteil.

Die Schwierigkeit im aktuellen Fall wird aus Sicht des Anwalts aber sein, dem Verein nachzuweisen, dass hetzerische und NS-verherrlichende Lieder nicht nur im Liederbuch aus 1997 abgedruckt, sondern auch aktuell gesungen wurden. Denn die bloße Herausgabe des Buches vor 20 Jahren könne - wegen der mittlerweile eingetretenen Verjährung - wohl kein Grund für die Auflösung sein.

Höhne kann sich daher auch vorstellen, dass das Auflösungsverfahren nur eingeleitet wurde, um dann zum Ergebnis zu kommen, dass eine Auflösung nicht möglich ist. Dann könne man sagen: "Bitte sehr, das ist ein Alter Hut, wir haben unsere Pflicht getan und das war's."

Ausschluss aus Pennälerring

Zuvor war die "Germania" schon aus dem Österreichischen Pennälerring ausgeschlossen worden. "Die Verbrechen an den Juden zur Zeit des Nationalsozialismus verpflichten uns, uns mit allen Möglichkeiten dem Totalitarismus und Tendenzen zu Antisemitismus entgegenzutreten", sagte der Sprecher des Pennälerringes, Udo Guggenbichler.

Die Germania wurde ausgeschlossen, die Satzungen des Pennälerringes wurden ergänzt um eine klare Distanzierung von Rassismus und Antisemitismus und das Bekenntnis zur Republik Österreich. Beides sei in aller Regel bisher schon gelebt worden und werde jetzt auch klar in den Satzungen formuliert, betonte Guggenbichler im ORF-Morgenjournal.

Die Liste Pilz fordert dennoch wegen der NS-Liederbuch-Affäre eine Rückzahlung der Staatsförderungen für den "Österreichischen Pennäler Ring" (ÖPR). Der ÖPR bekommt laut Förderbericht jährlich 14.500 Euro.

Der Justiz- und Verfassungssprecher der Liste Pilz, Alfred Noll, kritisierte nicht nur die antisemitischen und nationalsozialistischen Texte, sondern auch, dass bei Burschenschaften Mensur gefochten wird und sie Frauen ausschließen, obwohl die Verfassung die Gleichberechtigung von Mann und Frau normiert.

Die Nazi-Liedgut-Affäre hat indes auch die SPÖ erreicht:

Die Illustrationen zum Liederbuch der "Germania" hat ein ehemaliger SPÖ-Verwaltungsbeamter in Wiener Neustadt erstellt. Der Betreffende gehört zum Kreis jener vier Verdächtigen, gegen die bereits ermittelt wird. Er wurde umgehend von der SPÖ ausgeschlossen.

Landbauer für Kurz nicht regierungstauglich

Kurz sprach sich nunmehr - neben strafrechtlichen - auch explizit für politische Konsequenzen aus, war doch der niederösterreichische FPÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer Vizevorsitzender der betroffenen Burschenschaft: Die Aussage der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), wonach es keine Zusammenarbeit mit Landbauer in der Landesregierung geben werde, teile er "zu hundert Prozent", betonte Kurz.

Die Entscheidung, ob Landbauer aus der Partei ausgeschlossen werden bzw. sich überhaupt aus der Politik zurückziehen soll, ist für Kurz eine Sache der niederösterreichischen FPÖ, wie er auf Nachfrage erklärte. "Sie können sich vorstellen, dass ich für mich in der ÖVP weiß, wie ich die Entscheidung treffen würde."

Regierung leitet Auflösung von Burschenschaft Germania ein

Strache will keinen Parteiausschluss

Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sieht derzeit keinen Grund, Udo Landbauer aus der Partei auszuschließen. Dieser habe klar dargelegt, dass er die NS-Liedtexte nicht kannte und sich nichts zuschulden kommen lassen habe, erklärte Strache am Mittwoch vor dem Ministerrat. Er selbst habe als Parteiobmann immer durchgegriffen, "wenn eine rote Linie" überschritten worden sei.

Die Frage, ob Landbauer aus seiner Sicht reingewaschen sei, verneinte er, seien doch noch Ermittlungen in Gange. Über die Aussagen vom oberösterreichischen Landesparteichef Manfred Haimbuchner, der ebenfalls eine starke Abgrenzung gefordert hatte, zeigte sich Strache erfreut, seien dies doch auch seine Worte.

Selbstverständlich werde er nun auch umsetzen, was er bereits angekündigt habe und eine Historikerkommission für die Aufarbeitung in der FPÖ einsetzen.

Mehrere Fälle von Antisemitismus

Kurz ging nunmehr vor der Regierungssitzung erstmals ausführlich auf die Causa ein: Allein in der letzten Woche habe es mehrere Fälle von massivem Antisemitismus gegeben - dies sei nicht nur "widerwärtig", man dürfe hier auch "nicht zusehen oder wegsehen". Er sei "mehr als schockiert".

Jeder, der sich etwas zuschulden kommen habe lassen, müsse mit Konsequenzen rechnen, betonte Kurz - strafrechtlich, und, wenn es sich um Politiker handle, auch politisch. "Die muss es auch geben", sagte Kurz. Er verwies darauf, dass die SPÖ einen betroffenen Funktionär ausgeschlossen habe und erinnerte auch an die Aussage der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), wonach man mit Landbauer in der Landesregierung nicht zusammenarbeiten werde, was er "zu hundert Prozent" teile.

Historikerkommission

Neben individuellen Konsequenzen seien auch die politischen Parteien gefordert, findet Kurz. SPÖ und ÖVP hätten ihre Geschichte schon aufgearbeitet, "andere Parteien haben das noch nicht gemacht", meinte Kurz mit Blick auf die FPÖ. Er begrüße daher, dass Strache eine entsprechende Historiker-Kommission angekündigt habe.

Zudem habe aber auch die Regierung eine Verantwortung, "alle Möglichkeiten auszuschöpfen", meinte der Kanzler. Man werde etwa in Sachen Prävention weiterhin einen Kampf gegen Antisemitismus führen. Zudem werde das Innenministerium ein Auflösungsverfahren gegen die Wiener Neustädter Burschenschaft Germania einleiten. Konkret wird eine mögliche behördliche Auflösung laut Paragraf 29 des Vereinsgesetzes geprüft.