Herr Bundeskanzler, einer SMS-Umfrage eines Magazins zufolge sagen auf die Frage "Sollen Gusenbauer und Molterer anderen Leuten Platz machen?", 97 Prozent Ja. Das ist doch eine Bankrott-Erklärung der Regierung.
ALFRED GUSENBAUER: Ich denke, das ist auf den Dauerstreit der letzten Monate zurückzuführen und für Willi Molterer und mich gleichermaßen ärgerlich. Die beiden Parteivorsitzenden bekommen den gerechtfertigen Unmut der Menschen eben direkt zu spüren.

Die Umfrage lässt sie kalt.
GUSENBAUER: Nein, natürlich nicht. Und ich verstehe die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Es ist ja auch kein Wunder: In den letzten Wochen ist in erster Linie darüber spekuliert worden, ob Neuwahlen stattfinden oder nicht. Die Sacharbeit ist völlig in den Hintergrund getreten.

Was ist schief gelaufen?
GUSENBAUER: Die Sozialdemokratie ist angetreten mit dem Anspruch zu verändern, die ÖVP hat den Anspruch, dass alles möglichst so bleiben soll, wie es war. Und die Streitereien zwischen den Parteien haben alle sinnvollen Beschlüsse der Bundesregierung überlagert.

Es klingt so, als ob ÖVP das Sagen in der Regierung hat.
GUSENBAUER: In der Regierung sitzen zwei de facto gleich starke Parteien, wobei die SPÖ - knapp aber doch - die Nummer 1 ist. Und strukturell ist es so: Der eine will etwas verändern, der andere eher nicht. Wenn sich nichts tut, hat der gewonnen, der nichts verändern will. Insofern ist die SPÖ in der strategisch etwas schlechteren Position.

In der SPÖ war der Unmut groß. Sie sind mit dem "Gesudere" selbst konfrontiert worden, wie sie in Donawitz eingeräumt haben.
GUSENBAUER: Moment, in Donawitz hatten wir eine sehr konstruktive Diskussion. Ich habe mich darauf bezogen, was vor Donawitz war. Und ja, natürlich war ein Unmut in der SPÖ vorhanden, weil unsere Funktionäre, Mitglieder und Wähler den Eindruck gehabt haben, dass nichts mehr geht. Aber mit dem Entlastungspaket der letzten Woche scheint die Blockade der ÖVP - zumindest vorerst - überwunden.

Zwei SPÖ-Landeschefs, Erich Haider und Gabi Schaunig, tragen den Kompromiss nicht mit, weil nur die Hälfte umgesetzt wurde.
GUSENBAUER: Wenn man auf "Alles oder Nichts" setzt, steht man am Ende meistens mit leeren Händen da. Mir war wichtig, dass wir dieses Entlastungspaket beschlossen haben und damit für drei Millionen Menschen eine spürbare Verbesserung erzielen konnten.

Sie wollten aber viel mehr: den Hunderter sowie das Vorziehen der Steuerreform auf 2009.
GUSENBAUER: Das ist richtig, aber das war mit der ÖVP nicht durchsetzbar. Und eines bitte ich schon zu bedenken: Wir haben für jene, die es wirklich dringend brauchen, viel erreicht. Für hunderttausende Arbeitnehmer gibt es ab 1. Juli sogar deutlich mehr als den Hunderter. Wer beispielsweise 1.000 Euro im Monat verdient, bekommt in Zukunft 420 Euro netto pro Jahr zusätzlich. Das ist mehr, als diese Einkommensgruppe jemals durch irgendeine Steuerreform bekommen hat. Und nicht gering schätzen sollte man auch, dass zwei Millionen Pensionisten ihre nächste Pensionserhöhung um zwei Monate früher bekommen.

Ihre Popularitätswerte sind nicht berauschend, weil Sie wegen privater Dinge ins Gerede gekommen sind: Upgrading, das I-Phone.
GUSENBAUER: Leider. Die vielen direkten Angriffe gegen mich haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Ich werde hart daran arbeiten, das Vertrauen zurückzugewinnen. Und noch einmal zu meinem I-Phone: Was ist daran Unrecht?

Das I-Phone war zu diesem Zeitpunkt in Österreich noch nicht auf dem Markt. Entweder haben Sie es von einem Telekom-Konzern geschenkt bekommen, oder Sie haben es in den USA gekauft. Haben Sie es dann auch verzollt?
GUSENBAUER: Wieso? Man kann es beispielsweise in Frankreich auch kaufen.

Das wurde nie kommuniziert.
GUSENBAUER: Jetzt wissen Sie es.

Am Parteitag im Herbst müssen Sie sich der Wiederwahl stellen. Haben Sie sich eine Latte gesetzt?
GUSENBAUER: Ich werde in den nächsten Monaten sehr konzentriert arbeiten und dann werden wir am Parteitag sehen, wie sehr diese Arbeit honoriert werden wird. Ansonsten kennen sie die Spielregeln der Demokratie.

50 Prozent und eine Stimme, das ist die Mehrheit.
GUSENBAUER: Genau.

Damit geben Sie sich zufrieden?
GUSENBAUER: Ich arbeite für ein besseres Ergebnis.

60 Prozent?
GUSENBAUER: Lassen wir uns überraschen.

Kleiner Exkurs: Soll die Politik die Eröffnung der Olympiade boykottieren?
GUSENBAUER: Ich möchte mich dabei an die Empfehlung des Dalai Lama halten, der aufgerufen hat, dass die Welt an der Olympiade teilnimmt, weil er von einem Boykott nichts hält. Damit ist auch Tibet nicht geholfen. Eine andere Frage ist, ob Politiker bei Zeremonien auftreten sollen. Da werden wir versuchen, in der EU eine Position zu entwickeln.

Alles ist möglich.
GUSENBAUER: Es ist verfrüht, jetzt darüber eine Entscheidung zu treffen. Wir wollen noch alle Chancen nützen, bis zu Olympia etwas Positives für die Menschenrechtssituation in Tibet zu erreichen. Dass China so im internationalen Rampenlicht steht, ist eine echte Chance. Aber eines ist auch klar: Eine Eröffnungsveranstaltung kann keine Legitimationskundgebung für Gewalt sein.

Wenn sich bis zum Start der Olympiade nichts verbessert, stehen Sie nicht auf der Tribüne.
GUSENBAUER: Wenn sich die Lage bis dorthin nicht verbessert, werden Europas Regierungschefs eine gemeinsame Position erarbeiten, wobei ich ausdrücklich sage: die Möglichkeit einer Nichtteilnahme ist definitiv nicht ausgeschlossen.