Bisher galt in Russland öffentliche Kritik an Regierungschef Putin als tabu - nun fordern sogar kremlnahe Experten ein Ende des von ihm geschaffenen Systems. Das Moskauer Institut für moderne Entwicklung (INSOR), in dem Kremlchef Dmitri Medwedew den Ehrenvorsitz hat, verlangt in einem Strategiepapier den radikalen politischen Umbau Russlands. Das berichteten russische Zeitungen am Mittwoch.

Die Initiatoren schlagen etwa eine Auflösung des Geheimdienstes und des Innenministeriums vor sowie die Schaffung neuer Sicherheitsstrukturen. Das neue System müsse auf Gewalt verzichten, zitierte die Zeitung "Wedomosti" aus dem Papier.

Für die Modernisierung des Landes sei zudem eine Entbürokratisierung der Wirtschaft erforderlich, schreiben die INSOR-Autoren weiter. Kommentatoren sehen in dem Papier den Versuch, zu den "demokratischen Zeiten" der 1990er Jahre unter dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin zurückzukehren. Statt des Inhaltsgeheimdienstes FSB solle es etwa einen Aufklärungsdienst geben. Die Autoren schließen auch eine EU- und NATO-Mitgliedschaft Russlands in Zukunft nicht aus.

Die Boulevardzeitung "Moskowski Komsomolez" bewertete das Papier als Versuch, Putins Machtsystem zu demontieren. Die politischen Lager um Putin und Medwedew stecken nach Einschätzung von Beobachtern im Machtkampf wegen der Präsidentenwahl 2012. Die von Putin geführte Regierungspartei Geeintes Russland beschimpfte den Vorsitzenden des Föderationsrates, Sergej Mironow von der kremltreuen Partei Gerechtes Russland, als "Ratte", nachdem dieser im Staatsfernsehen die Wirtschaftspolitik des Landes gerügt hatte. Mironow verteidigte seine Kritik an Putins Politik und lehnte einen Rücktritt ab.