Das Jahr hatte so schön begonnen. Anfang Jänner kam die ÖVP der SPÖ beim Thema Bildung ein paar kleine Schritte entgegen. 14 Tage später, beim Neujahrsempfang der Bundesregierung, strapazierte Kanzler Werner Faymann in seiner Ansprache das Wort "gemeinsam" ganze 15 Mal, sein Vize Josef Pröll immerhin zwei Mal. Sie versuchten, einander nicht in der Redezeit zu übertrumpfen. Wieder zwei Wochen später präsentierten der rote Verteidigungsminister Norbert Darabos und sein schwarzer Verhandlungspartner, Außenminister Michael Spindelegger, bei einer Pressekonferenz einmütig und staatstragend ... Halt! An dieser Stelle reißt der Heimatfilm.
Scharmützel unter Regierungskollegen
Darabos und Spindelegger liefern sich derzeit, sekundiert von ihren Parteisekretären, lieber Scharmützel auf den Schlachtfeldern Wehrpflicht, Nato und Neutralität. Mitte Februar wirkt die Bundesregierung fast schon so zerstritten wie ihre Vorgängerin, das Kabinett Gusenbauer. Nicht einmal die Vorratsdatenspeicherung (Wer hat wann mit wem telefoniert?) bringt sie ins Trockene, obwohl Schwarz-Orange der Materie seinerzeit auf EU-Ebene zugestimmt hat.
Es ist paradox: Heuer wird nicht gewählt, endlich wäre die Zeit gekommen, die großen Reformen anzugehen. Der Arbeitsmarkt floriert; die Österreicher sind von der Krise unbeeindruckt kaufwütig; das Barometer der Wirtschaftsforscher steigt. Pröll und Faymann haben weiterhin eine intakte Gesprächsbasis, auch andere rot-schwarze Regierungsduos verstehen sich gut. Woher kommt dann der ganze Sand im Getriebe?
Politik nach Umfragen
2009 war das Jahr des Josef Pröll. Die ÖVP gewann Wahlen und er bewährte sich als Finanzminister bei der Rettung der Banken. Werner Faymann schaute baff zu. 2010 war vielleicht nicht das Jahr des Werner Faymann, aber die SPÖ hielt immerhin Wien und die Steiermark und Faymann versöhnte die Linken mit Kampfrhetorik zum Thema Reichensteuer. Pröll hingegen griff bei der Personalauswahl ein paar Mal daneben, erlaubte sich taktische Schnitzer und zerspragelte sich zwischen seinen drei Jobs.
Der Erfolg verführte Faymann, in ein altes Muster zurückzufallen: Er und sein Team richten ihre Politik nicht auf die Durchsetzung der eigenen Ansichten aus, sondern auf die Vermarktbarkeit. In den Fokusgruppen wehrt sich keine für die SPÖ relevante, große Zielgruppe gegen ein Berufsheer? Die SPÖ gibt Gas! Die ÖVP fühlt sich überfahren, bremst oder dreht gleich um.
Die nächste Hand voll Sand streuen die Funktionäre und die zweite Reihe der Parteikader in den Regierungsmotor. Sie wollen schon auch, dass etwas weitergeht im Land, doch mehr noch fordern sie, dass sich der eigene Parteichef vom Koalitionspartner scharf abgrenzen möge. Vor allem die Schwarzen sind enttäuscht von ihrem einstigen Wunderwuzzi Pröll. Eine Obmanndebatte wird noch länger niemand anzetteln, aber die beiden erfolgreichsten Minister, Michael Spindelegger und Reinhold Mitterlehner, bringen sich schon einmal für die Zeit danach in Stellung.
Konsensdarsteller
Mitterlehner, der aus der Wirtschaftskammer kommt, spielt mit dem roten Sozialminister Rudolf Hundstorfer, ein Gewerkschafter, der sich in der Rolle des besseren Kanzlers gefällt, vierhändig auf dem Klavier der Sozialpartnerschaft. Sie stellen mit Verve die Konsenspolitiker dar, die Faymann und Pröll nicht sein dürfen. Kanzler und Vize durchschauen das Spiel natürlich, haben sie ihren Vorgängern doch mit der gleichen Masche die Ämter abgejagt.
Selbstherrliche Fürsten
Machtbewusste, mitunter selbstherrliche Landeshauptmänner auf beiden Seiten machen die Sache für die Regierungsspitze nicht leichter. In den Parteien sitzen Erstere auf dem längeren Ast - auf dem Geld. Die niederösterreichische Volkspartei unter Erwin Pröll verweigerte ihrem ÖVP-Bundesparteichef - Neffe hin, Landsmann her - zwischendurch gar einmal den Mitgliedsbeitrag. Auch beim Thema Bundesheer verfolgen die Fürsten und Markgrafen eigene Interessen, die sich mit den, ohnehin im Zickzack verlaufenden, Linien ihrer Parteien kreuzen. Eine Kaserne bringt schließlich Geld, Leben und Kundschaft in einen Ort.
Und wie planen die roten und schwarzen Generäle den Rückzug ihrer Truppen vom Schlachtfeld Bundesheer? Am 1. März werden Darabos und Spindelegger ihren Kollegen die neue Sicherheitsdoktrin zu Abstimmung im Ministerrat vorlegen. Dann wird endlich ernsthaft über die Konsequenzen daraus verhandelt: Verlangt die Neutralität ein Berufsheer? Wenn nein, ist die Wehrpflicht trotzdem demokratiepolitisch sinnvoller? Wenn nein, was passiert dann mit dem Zivildienst? Und wie geht man mit den Jahrgängen um, die bis zur Umstellung doch noch dienen müssen?
Volksbefragung zum Heer
Die Parteistrategen überlegen sich aber bereits, was sie machen, sollten sie sich nicht darüber einigen. Dann könnte eine Volksbefragung (keine Abstimmung, die bindend wäre) abhelfen. Diese würde nach Wiener Vorbild mit Fragen aufgefettet, die so austariert würden, dass beiden Seiten ein Erfolg sicher wäre. Riskant genug. Dass aber einer der Koalitionspartner Neuwahlen vom Zaun brechen wolle, ist eine Zeitungsente. Rot-Grün ginge sich wohl nicht aus und dann stünde die SPÖ wieder mit nur einer Option da. Die ÖVP mag auf Schwarz-Blau spitzen, könnte derzeit aber nicht sicher sein, dass nicht Blau-Schwarz herauskäme.
Was die nächste Herausforderung für das Koalitionsklima sein wird, steht auch schon fest. Beim Neujahrsempfang im Jänner stellten Faymann wie Pröll in Aussicht, dass der Pflegefonds bis Schulschluss eingerichtet sein würde. Pröll, Hundstorfer, Gesundheitsminister Alois Stöger und der derzeitige Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz, der Oberösterreicher Josef Pühringer, verhandeln das gerade. Bisher wussten die Medien wenig darüber zu berichten, schon gar nichts über Zank und Hader. Vielleicht schaffen es die vier ja, im Juni eine Pressekonferenz einmütig-staatstragend über die Bühne zu bringen.
EVA WEISSENBERGER