Wieder einmal ist eines der berüchtigten Machtspielchen an der Spitze der EU im Gange. Der Rat der Staats- und Regierungschefs und das EU-Parlament sind mitten in einem Poker, der den designierten Chef der künftigen EU-Kommission Jean-Claude Juncker schwer beschädigen könnte. Geht es um Wachstum, Arbeitslose oder Krisenherde? Nein, es geht um Juncker und die Frauen, genauer gesagt, um die Frauenquote in der von ihm geführten EU-Exekutive.

Derzeit hat die 28-köpfige EU-Kommission immerhin neun weibliche Mitglieder. Wie es aussieht, wird Juncker kaum fünf Frauen im Team haben. Dabei hatte er sich als Ziel gesetzt, auf zehn zu kommen. Will Juncker von null auf zehn kommen, muss er zehn von 27 Regierungschefs - er als Luxemburger steht schon für ein Kommissionsmitglied und ein Land - weichklopfen. Bis jetzt hat er drei. Die Italienerin Federica Mogherini, die Belgierin Marianne Thyssen und die Tschechin V?ra Jourová. Mit so einer Quote braucht Juncker erst gar nicht zu versuchen, die Zustimmung des EU-Parlaments für sein Team zu erringen. Die Volksvertreter kämpfen leidenschaftlich für Frauenquoten auf allen EU-Ebenen. Sie wollen ausgerechnet in der EU-Kommission einen Rückfall nicht akzeptieren.

Ebenfalls nicht akzeptieren wollen die Regierungschefs, dass eine Frauenquote ihre personellen Prioritäten aushöhlt. In Kenntnis von Junckers Gender-Nöten nominierte etwa Deutschland Günther Oettinger, Frankreich Pierre Moscovici, Großbritannien Lord Jonathan Hill. Zwölf weitere Mitgliedsländer schickten ebenfalls die Namen von Männern nach Brüssel.

Laut EU-Vertrag muss es zwischen dem Kommissionschef und der jeweiligen Regierung Konsens über jeden Kommissar geben. Ohne Juncker geht also nichts, und der wendet jetzt viel Zeit auf, kleinere EU-Staaten zu bewegen, doch noch eine Frau statt eines Mannes zu nominieren. So soll Juncker die Slowenen gelockt haben, statt ihres Polit-Urgesteins Janez Jansa Alenka Bratusek zu entsenden. Laibach würde damit belohnt, dass sie zur Vizepräsidentin der Kommission aufsteigt. Ähnliche Deals plant Juncker offenbar auch mit anderen Ländern.

Im Gender-Dschungel drohen die anderen Parameter für die Mitglieder der Kommission unterzugehen. Eine Schlüsselposition ist die des EU-Außenbeauftragten, das Anforderungsprofil wurde wegen des Ukraine-Konflikts womöglich noch schwieriger. Italien schickt dafür seine Außenministerin Federica Mogherini ins Rennen, die aber vielen als zu unerfahren gilt. Andere sähen in der Bulgarin Kristalina Georgieva eine fähige Kandidatin, doch ist ihre Heimat kein Herzland der EU. Das würde für den Polen Rados?aw Sikorski eher gelten, aber der ist eben ein Mann.

Wahrscheinlich geht es in den Hauptstädten auch um eine Art Retourkutsche. Die Staats- und Regierungschefs sind noch immer verschnupft, dass die im EU-Parlament für die Europawahl ersonnene Methode der Spitzenkandidaten ihnen die Nominierung des Chefs der EU-Kommission aus der Hand nahm. Jetzt setzen die Staatskanzleien das EU-Parlament ihrerseits unter Druck. Sie lassen es offenbar darauf ankommen, ob Straßburg die Juncker-Kommission an der Frauenfrage scheitern lässt und die EU in eine Krise stürzt.