Die Kanzlerin muss nun reagieren. Fragt sich nur: Wie? Merkel kann sich die Spitzelei der USA auf deutschem Boden jedenfalls kaum mehr bieten lassen. Ansonsten würde ihre Position im eigenen Land - und vielleicht das ganze Ansehen des Westens - beschädigt.
Aber sie hat wenig Druckmittel - und womöglich eine böse Vorahnung: Das Abhören ihres Handys durch den US-Geheimdienst NSA, die massenhafte Datenüberwachung auch in Deutschland, ein mutmaßlicher CIA-Spion beim Auslandsgeheimdienst BND und nun vielleicht auch ein US-Informant im Verteidigungsministerium sind womöglich nicht alles.
Dabei machen die christdemokratische Vorsitzende und ihre Regierung deutlich, dass "Deutschlands bester Partner" (Merkel) wohl die meisten Informationen auf ganz normalem Weg bekommen könnte: Einfach mal anrufen. Oder auch nur Zeitung lesen, Fernsehen schauen, Radio hören. Außenminister Frank-Walter Steinmeier klagt: "Der Versuch, mit konspirativen Methoden etwas über die Haltung Deutschlands zu erfahren, gehört sich nicht nur nicht. Es ist auch völlig überflüssig."
Die jetzige Erschütterung der transatlantischen Beziehungen hatte die USA-begeisterte Merkel kaum für möglich gehalten. Fraglich ist, ob US-Präsident Barack Obama die Geheimdienste im Griff oder sich der Apparat verselbstständigt hat. Nach einem Bericht der "New York Times" ist man im Weißen Haus inzwischen "frustriert" darüber, dass die CIA über den Verdacht gegen den BND-Mann nicht einmal Bescheid sagte, bevor Obama am vergangenen Donnerstag mit Merkel telefonierte.
Was tun? Deutsche Gegenspionage würde gegen Merkels Verständnis von Partnerschaft verstoßen. Außerdem dürfte das den US-Geheimdienst angesichts seines gigantischen Überwachungssystems eher amüsieren. Die Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienst aufkündigen? Das könnte mangels eigener Kapazitäten und Fähigkeiten gefährlich werden. Rettende Hinweise auf Terroristen in Deutschland kamen oft vom US-Geheimdienst.
Auf der anderen Seite bekam Berlin seit Ausbruch der Affäre vor mehr als einem Jahr von den USA so gut wie keine Aufklärung oder gar Entschuldigung. Beim groß angekündigten "Transatlantischen Cyber-Dialog" mit den USA kam man über Allgemeinplätze bisher nicht hinaus. Und auch nach dem vor einer Woche bekannt gewordenen Fall des BND-Mitarbeiters wartete das Kanzleramt tagelang vergeblich auf eine Reaktion.
Funkstille in einer solchen Situation vermiest die Stimmung noch viel mehr. Schließlich beklagte Merkel ausgerechnet in Peking vor deutscher und chinesischer Flagge neben Ministerpräsident Li Keqiang den Vertrauensbruch der USA. Hätte sie bis dahin aus Washington einen Anruf bekommen, hätte sie vermutlich geschwiegen - so wie sich die deutsche Seite auch am Mittwoch wieder auffallend zurückhielt mit Informationen.
Gespräch mit Merkel
Inzwischen scheinen die Dinge aber etwas in Bewegung zu kommen. Am Dienstag meldete sich CIA-Chef John Brennan wegen der Spionageaffäre direkt im Kanzleramt. Im Gespräch mit dem deutschen Geheimdienstkoordinator Klaus-Peter Fritsche dürfte es ziemlich sicher darum gegangen sein, den Schaden nicht noch größer werden zu lassen. Einzelheiten wurden zunächst aber nicht bekannt.
Parallel dazu trat der amerikanische Botschafter in Berlin, John B. Emerson, wieder einmal den Weg ins Auswärtige Amt an. Dieses Mal kam Emerson allerdings freiwillig - so etwas ist zwischen Deutschen und Amerikanern inzwischen wichtig. Was er mitzuteilen hatte, darüber schwiegen sich beide Seiten anschließend aus. Offizielle Sprachregelung ist nun, dass man erst einmal das Ergebnis der Ermittlungen abwarten wolle. Das allerdings könnte dauern - selbst wenn es bei den bisher bekannt gewordenen Fällen bleibt.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ex-Umweltminister Norbert Röttgen, warnte am Mittwoch vor dauerhaftem Schaden für das deutsch-amerikanische Verhältnis. "Wir können uns das nicht leisten." Und sozialdemokratische Fraktionschef Thomas Oppermann mahnte: "Vertrauen ist eine Säule der Freundschaft. Die USA sollten Acht geben, dass sie nicht komplett einstürzt."