"J. Fonda, come in" leuchtet auf dem ORF-Container, der den Radweg neben der Staatsoper verstellt. Ein Scherz der Kollegen. Vor dem Haus auf dem roten Teppich blockiert eine Kette starker Männer den Weg. Drinnen wird noch geprüft von der Polizei und geputzt vom Trupp. Es ist vor acht, die Gäste laben sich in umliegenden Lokalen. Stärkung für die Prunkstiege.

'J. Fonda, come in' leuchtet auf dem ORF-Container
'J. Fonda, come in' leuchtet auf dem ORF-Container © Thomas Götz

Was einmal Kaiserloge hieß, gehört jetzt dem ORF. Strahlend stehen Mirjam Weichselbraun und Andi Knoll unter dem Adler, dem in der Republik nur ein Kopf geblieben ist, und befragen im Akkord. Mürrisch im Hintergrund Alfons Haider. Ein Kollege von Ö 3 tritt an den verbannten Moderator heran und wühlt in seinen Wunden: "Wurscht oder Wahnsinn?" will er von dem nach 24 Opernbällen brüsk Ersetzten wissen. "Wurscht – aber auch a bissl a Wahnsinn", erwidert der Gekränkte.

In der Proszeniumsloge sitzt Physik-Nobelpreisträger Anton Zeilinger mit seiner Familie, ein seltener Opernballgast. Erst einmal war er hier, vor zehn Jahren. "Jedes Dorf hat so eine Veranstaltung", sagt er heiter. "Das ist halt der Ball vom Dorf Österreich." Er meint das nicht abschätzig, im Gegenteil. Zusammengehörigkeit spüre man hier, das sei das Schöne an diesem Abend, sagt er und schaut hinunter auf die hinter starken Seilen am Rand des Parketts zusammengepferchte Menge, die auch etwas sehen will von der Eröffnung.

Früher einmal war er selbst auf dieser Bühne gestanden, als Statist. "An die hundert Aufführungen hab‘ ich mitgemacht", erinnert sich der Opernfreund an Zeiten finanzieller Knappheit. "Das war gutes Geld damals für einen Studenten." Vor ein paar Jahren hat er zum Spaß ein Comeback versucht, in Puccinis "Tosca". "Die Kostümbildnerin hat sich sehr geplagt, mir die Blech-Brustwehr umzuschnallen", sagt er und greift sich lachend auf den Bauch.   

Alle drängen sich zum Präsidenten

Kaum ist die Eröffnung vorbei, drängen alle zum Präsidenten. Opernball ist Staatsball. Also muss er da sein, den Staat zu repräsentieren, also müssen alle zu ihm, die wahrgenommen werden wollen. Über Stunden wird sich die Prozession durch den Gang bis zur Proszeniumsloge schieben, an deren Brüstung der zerbrechliche Herr mit seiner Frau steht und für alle ein paar nette Worte finden muss. Den Anfang machen die, denen das Haus eigentlich gewidmet ist.

Eng gedrängt warten sie vor der Tür. Andreas Schager, der gefeierte Heldentenor, der sich auf dem Parkett für ein paar Minuten ins angestammte Operettenfach zurückgebeamt hatte, freut sich, den Text behalten haben. Es war ja weniger als der endlose "Tristan", der ihm hier nächste Woche bevorsteht. Camilla Nylund reut es im Gewühle wohl, ein derart ausladendes Kleid für ihren Auftritt gewählt zu haben. Bogdan Roscic und sein Generalmusikdirektor Philippe Jordan, die sich im wirklichen Leben lieber aus dem Weg gehen, harren in seltener Nähe aus. Manchmal geht es nicht anders. Für sie ist dieser Ball Arbeit.

Sie sind nicht die Einzigen. Wenig später kann man Bundeskanzler Nehammer beim Versuch beobachten, Peter Klien zu entkommen, ohne dass es wie Flucht aussieht. Der Staatsoperndirektor wird das geschickter anstellen: Er tut einfach, als gäbe es den lästigen Frager nicht. "Von dem will man nicht interviewt werden", sagt ein Gast im Gedrängel. Von hinten rammt jetzt ein Livrierter seine Arme in die kompakte Menschenwand. Er muss den Weg für Kellner bahnen, die dampfende Sacherwürstel mit Senf und Kren in Logen bugsieren sollen. Allein kämen sie nie ans Ziel.  

Die aus dem Rampenlicht Gedrängten sind unter sich

Nach Mitternacht flüchten die, deren Haus heute zweckentfremdet wird, in ihr abgeschirmtes Refugium im dritten Stock. Künstlerempfang. "Jetzt kommt eine Pause", singt die Band für die Kollegenschaft. "Manche geh’n nach Hause, manche essen Jause, das ist der Zweck der Pause." Georg Kreislers Spott auf die Oper geht unter im Gerede. Hier sind die aus dem Rampenlicht Gedrängten unter sich. Nur Staatssekretärin Andrea Mayer darf als Hausfremde dazu. Sie, die den grünen Teil der Regierung an diesem Abend allein vertreten muss, ist ja Chefin des Ganzen.

Was den Ball zum Ball macht, findet unterdessen anderswo statt: am Parkett, in den Logen, in den Nebenräumen und im Unterbauch des Hauses. Abseits der Kameras, ohne Zweck und Nebenabsichten, regt sich die drei Jahre aufgestaute Bewegungslust. Um Mitternacht fegen die Paare in zerfaserten Reihen aufeinander zu. Quadrille heißt der Tanz, an dem alle Disziplinierungsversuche von Choreografen scheitern. Endlich wieder Ausgelassenheit, bedenkenlose Nähe, wird schon nichts passieren. In der U-Bahn werden sie wieder Maske tragen müssen. Zwei Wochen noch.

© Thomas Götz