Es ist eineinhalb Jahre her, als aus dem „Ibiza der Alpen“ ein europaweit beachteter Coronahotspotwurde. Mehr als 6000 Leute – großteils Touristen – haben sich in und um Ischgl mit dem Coronavirus infiziert (siehe Grafik), ehe man das Skimekka evakuierte und unter Quarantäne stellte.

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Seither hagelte es Kritik an Behörden, der zuständige Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) musste gehen, der Schaden für das fast ausschließlich vom Tourismus abhängige 1600-Einwohner-Örtchen ist enorm. „Wir hatten im vergangenen Winter keinen einzigen Betriebstag“, klagt der Chef des Tourismusverbands in Ischgl, Andreas Steibl, der die Pandemie mit einer Naturkatastrophe vergleicht. Die Buchungslage für die bevorstehende Wintersaison sei wegen der treuen Stammkundschaft gut, die Angst vor der vierten Welle aber allgegenwärtig.

Witwe und Sohn fordern 100.000 Euro

Doch damit nicht genug. Denn heute beginnt am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen der erste Prozess in der Causa: Witwe und Sohn eines an Corona verstorbenen Ischgl-Besuchers fordern von der Republik 100.000 Euro (Schmerzensgeld, Schockschaden, Trauerschaden und Beerdigungskosten). Aufgrund der chaotischen Zustände bei der Abreise habe sich der 72-Jährige in einem Bus angesteckt. Die Republik wird vertreten durch die Finanz-Prokuratur, wo man sich im Vorfeld nicht äußern wollte.

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Die Kläger werden unterstützt von Peter Kolba und dem Verbraucherschutzverein. Er rechnet damit, dass heuer noch 40 Klagen eingereicht werden. Bis alles aufgearbeitet ist, wird es noch dauern. Aber nicht länger als bis zum Ende des nächsten Jahres, hofft er. Danach beginnen Ansprüche zu verjähren. Nicht immer geht es dabei um 100.000 Euro. Am unteren Ende der Skala stehen rund 10.000 Euro – wenn es etwa um Verdienst-Entgang geht.



Rund fünf Prozent der 3000 haben angegeben, unter Langzeitfolgen zu leiden. Hier lässt sich noch kaum abschätzen, wie diese Situationen bewertet werden. „Bei allen Klägern handelt es sich um Personen, die am 6. März oder danach angereist sind“, sagt Kolba. Also einen Tag nachdem das Land Tirol darüber informiert worden war, dass 14 Isländer nach einem Ischgl-Aufenthalt positiv getestet worden waren.

Man hätte die Saison im Paznauntal schon eine Woche früher beenden müssen, konstatiert er und prangert an, dass der Einfluss des finanzstarken Tiroler Tourismus auf die Politik zu dieser Verzögerung beigetragen habe.

Das weist man bei der Tirol Werbung ebenso zurück wie in Ischgl: „Der Bericht der Expertenkommission stellt ja fest, dass es keine Einflussnahme vonseiten des Tourismus gegeben hat“, betont Steibl.


Kolba überzeugt auch das nicht: „Laut Kommission hätte der Umsatzausfall von 9. bis 13. März rund 10 Millionen Euro betragen“, erinnert er. Bei solchen Summen mache es laut dem VSV-Experten sehr wohl Sinn, das Zusperren hinauszuzögern. „Gerade in Ischgl hat man vorrangig auf die Ökonomie geschaut – und das zulasten der Gesundheit der Gäste.“

Ein Urteil wird heute nicht erwartet. Zunächst soll geklärt werden, ob man sich mit einem Vergleich einigen kann. Auch das ist unwahrscheinlich.