Vor wenigen Jahren hat man in Österreich noch von geschätzten rund 600.000 Zuckerkranken gesprochen. Jetzt sind es laut Experten bereits 800.000 Diabetiker. "Wir werden in den nächsten Jahren die Millionen-Grenze überschreiten", warnte am Samstag bei den Praevenire Gesundheitsgesprächen in Alpbach in Tirol Susanne Kaser, Präsidentin der Österreichischen Diabetesgesellschaft.

Die Crux: Zu den rund 800.000 bereits erkrankten Diabetikern kommen laut der Innsbrucker Expertin noch etwa 350.000 Prädiabetiker hinzu, die ein hohes Risiko für den Ausbruch der Erkrankung haben. Laut Berechnungen dürften die jährlichen Ausgaben für die Versorgung der Patienten in Österreich von derzeit rund vier Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 auf rund acht Milliarden Euro steigen.

Wenig Prävention, keine Kassenverträge

Kaser ortet drei Grundprobleme in Österreich: "Das ist die Zahl der Betroffenen. Wir sind in der Prävention nicht gut genug. Wir haben niedergelassene (Haus-)Ärzte und Ambulanzen. Wir brauchen aber eine zweite Ebene mit Diabetes-Spezialisten in der Niederlassung." Diabetologen mit Kassenverträgen sind in Österreich faktisch nicht existent.

Ein Fortschritt: In die Vorsorgeuntersuchung wird in Zukunft wohl auch die mittelfristige Blutzuckersituation von Patienten über die Bestimmung des HbA1c-Wertes, der die Zuckerbeladung der roten Blutkörperchen misst. Er sollte bei Zuckerkranken am besten unter 6,5 Prozent liegen. Mit dem Test könnte man laut der Innsbrucker Expertin die Prädiabetiker frühzeitig entdecken und bereits so intervenieren, dass ein Ausbruch der Erkrankung verhindert oder zumindest hinausgeschoben wird.

Dabei zeichnet sich in den USA bereits eine Entwicklung ab, die wohl auch in Österreich in fünf bis zehn Jahren gegeben sein wird. Martin Clodi, Chef der Abteilung für Innere Medizin am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz: "Laut den neuesten Zahlen aus den USA sind dort 29 Prozent der über 65-Jährigen zuckerkrank, ebenso leiden 18,5 Prozent der Menschen zwischen 45 und 65 Jahren an Diabetes."

Das Gegensteuern wäre langfristig am wirksamsten über die Prävention. Doch auch in der Therapie des Diabetes hat sich viel getan. "Wir haben extrem gute, neue Therapien. Wir haben jetzt die Möglichkeit zu einer individuellen Behandlung", sagte Susanne Kaser.

Freilich, hier bremsen bei manchen Medikamenten die österreichischen Krankenkassen. "Die Mittel kosten im Monat zwischen 15 und 100 Euro, sind aber noch nicht in der Erstattung", stellte Clodi fest. Wichtige Antidiabetika könne man auf Kassenkosten derzeit zum Beispiel erst ab einem HbA1c-Wert von mehr als sieben Prozent verschreiben. Das sei einfach zu spät.

Dabei sind die Folgen der nicht heilbaren Zuckerkrankheit katastrophal. Der Linzer Experte: "50 bis 70 Prozent der Patienten mit einem akuten oder subakuten Herzinfarkt haben Diabetes. Beim Schlaganfall ist das ganz ähnlich. 80 Prozent der Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz sind Diabetiker oder Prädiabetiker." Zum HbA1c-Wert in der Vorsorgeuntersuchung sollte auch die Möglichkeit auf Labortests auf Parameter kommen, welche eine Herzmuskelschädigung anzeigen (BNP-Bestimmung etc.).

Ein großes Problem sind auch in Österreich nicht vorhandene Daten beziehungsweise ein Diabetesregister. Kaser: "Wir haben keine Daten, wie es den Patienten geht, wie sie versorgt werden und wo sie versorgt sind. Wir brauchen einen elektronischen Patientenpass für Diabetes."