In Ös­ter­reich blei­ben trotz ver­län­ger­ter Os­ter­ru­he in der Ost­re­gi­on und re­gio­na­ler Lock­downs die In­fek­ti­ons­zah­len hoch. Ex­per­ten schla­gen des­halb vor, dass man das ganze Land run­ter­fah­ren soll­te.

Pro

Wir brauchen alle die Perspektive auf einen annähernd normalen Sommer. Die Alternative zu zehn Wochen mit regionalen Mini-Lockdowns ist ein kurzes, aber wirksames Runterfahren im ganzen Land.
Pamela Rendi-Wagner, SPÖ-Chefin

Corona begleitet unser Leben schon viel zu lang. Gesundheit, Wirtschaft und Gesellschaft leiden darunter – ja, jeder Einzelne von uns. Mit ihrer Strategie – halb offen, halb zu – verlängert die Bundesregierung den jetzigen Zustand und zieht ihn unnötig in die Länge. Das verzögert den positiven Effekt der Impfung. Die gefährlichere britische Mutation hat sich mittlerweile auch im Westen Österreichs verbreitet. Die Zahl der Ansteckungen ist zu hoch, viele Intensivstationen sind nicht nur im Osten am Limit. Man darf nicht nur auf freie Betten schauen, sondern wir müssen auch das Spitalspersonal im Blick haben. Sie alle arbeiten an der Belastungsgrenze, während die Regierung inkonsequent, kurzsichtig, mutlos handelt. Ihr selbst gestecktes Ziel, die Infektionen stark zu senken, hat sie Anfang Februar aufgegeben.

Es ist höchste Zeit, das zu ändern, denn wir alle brauchen die Perspektive auf einen annähernd normalen Sommer. Eines darf man jetzt nicht machen: warten, bis die Intensivstationen in allen Bundesländern an ihre Grenzen stoßen. Denn das betrifft dann alle Patienten – nicht nur Covid-Erkrankte. Richtig wäre es jetzt, für kurze Zeit ganz Österreich runterzufahren, die Infektionszahlen schnell zu senken und uns mit viel Impfen und Testen unsere Freiheit zurückzuholen.

Unser Land ist zu klein, um große Unterschiede in der Corona-Bekämpfung zu machen. Natürlich ist es richtig, regional auf regionale Ausbrüche zu reagieren – insbesondere bei neuen Mutationen. Der Ost-Lockdown und die Schulferien zeigen erste Wirkung. Trotzdem haben wir zu viele Ansteckungen und zu viele Intensivpatienten, auch außerhalb der Ostregion. Wenn die Regierung den aktuell ziellosen Zustand fortsetzt, braucht sie sich nicht wundern, wenn die Menschen bei den Maßnahmen weniger mitgehen. Die Alternative zu zehn Wochen mit regionalen Mini-Lockdowns ist ein kurzes, aber wirksames Runterfahren im ganzen Land. Einmal noch die Zähne zusammenbeißen und als Belohnung ein großer Schritt in Richtung Freiheit und Normalität.

Oberstes Ziel muss sein, das Virus nachhaltig unter Kontrolle zu bringen. Hätte man Anfang Februar nicht bei zu hohen Zahlen geöffnet, hätten wir heute bereits eine niedrigere Inzidenz. Wir sollten österreichweit kurz und wirksam runterfahren. Gemeinsam mit einem Impf-Turbo haben wir so die Chance auf einen annähernd normalen Sommer. Diese echte Perspektive brauchen wir alle so dringend: die Älteren genauso wie die Jüngeren, die Intensivstationen genauso wie die Unternehmen und die Kultur.

Kontra

Dass der Ausbruch von Coronaclustern an einem Ende Österreichs zwingend zu denselben Maßnahmen am anderen Ende des Landes führen muss, ist der Bevölkerung nicht mehr zwingend argumentierbar.
Markus Wallner, Landeshauptmann von Vorarlberg

Knapp vier Wochen nach Beginn der Vorarlberger Modellregion lässt sich eine erfolgreiche Bilanz ziehen. Obwohl die britische Virusmutation auch hierzulande auf dem Vormarsch ist, sind wir bei den Infektionen weiterhin nicht mit einem exponentiellen Wachstum konfrontiert. Die Spitalsauslastung bietet – trotz moderatem Anstieg – ebenfalls keinen Anlass zur Sorge, ebenso die Intensivkapazitäten.

Unsere Auswertungen zeigen, dass die Öffnungsschritte für die Zunahme bei den Infektionen kaum ins Gewicht fallen. Es gibt bisher keinerlei Hinweise auf Gastro- oder Kulturcluster. Die Ansteckungen finden vor allem im privaten Umfeld statt. Daran lässt sich ablesen, dass die Bevölkerung Einschränkungen im familiären und persönlichen Umfeld nicht mehr umfänglich mitträgt. Ein Blick nach Deutschland genügt: Trotz monatelangem strengen Lockdown ist das Land weiterhin mit steigenden Infektionszahlen konfrontiert.

Aus diesen Gründen sind regionale Schritte – verbunden mit entsprechenden Lockerungen und Verschärfungen je nach Lagebild – ein Gebot der Stunde. Dass regionale Ausbrüche an einem Ende Österreichs zwingend zu denselben Maßnahmen am anderen Ende führen müssen, ist der Bevölkerung nicht schlüssig argumentierbar.

Fakt ist, dass strenge regionale Verschärfungen wirksam sind. Das zeigen mehrere Beispiele in Österreich. Entscheidend ist, dass in solchen Fällen schnell und konsequent gehandelt wird. Dass Vorarlberg seine Öffnungsschritte nicht leichtfertig aufs Spiel setzt, hat auch das schnelle Handeln im Leiblachtal gezeigt. Denn klar ist: Nur durch verantwortungsvolles und konsequentes Handeln können wir unsere Modellregion erhalten.

Was nicht vergessen werden darf: Innerhalb von vier Wochen ist die Arbeitslosigkeit in Vorarlberg um 10 Prozent gesunken, die psychosoziale Situation von Kindern hat sich deutlich verbessert und die Bevölkerung zeigt eine stark gestiegene Bereitschaft, sich testenzu lassen. So haben wir in der vergangenen Woche in 139 Teststationen über 153.000 Tests durchgeführt. Seit Beginn der Modellregion hat sich die Anzahl der Tests pro Woche um 140 Prozent erhöht. Wir erschließen dadurch neue Bevölkerungsgruppen, die wir davor nicht erreichen konnten.

Wir müssen wachsam bleiben. Allein die Inzidenz zu betrachten, genügt nicht mehr. Vielmehr müssen regionale Parameter wie Intensivbelegung, Impfrate, Testkapazität, Contact Tracing, wirtschaftliche Lage, Akzeptanz der Bürger gesamthaft betrachtet werden.