Herr Huber, wie lautet ihr Fazit nach einem Jahr mit Lockdowns und Distance Learning?
STEPHAN HUBER: Die Digitalisierung in den Schulen ist weiter vorangeschritten. Online-Plattformen und Learning Apps sind nun weit verbreitet, Lehrer sind erfahrener im Umgang mit digitalen Medien, die Bildungspolitik hat Zugänge zu finanzieller Unterstützung vereinfacht. Mit einer "Digitalisierungsoffensive" wurde die Ausstattung mit Hardware und Software vorangebracht. Doch vielfach wird berichtet, dass die Umstellung des Unterrichts ebenso wie die technische Ausstattung immer noch nicht störungsfrei und effizient vollzogen werden konnten. Das Potenzial, vor allem auch für mehr Individualisierung beim Lernen und für mehr Zusammenarbeit der Schüler untereinander, kann noch stärker ausgeschöpft werden. 

Unsere Schulen sind sehr unterschiedlich. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Bedürfnisse. Eine wichtige Erkenntnis ist aber, dass viele der aktuellen Probleme schon vor der Pandemie da waren. Die Corona-Krise hat diese Defizite nur deutlicher gemacht. Und wenn diese Defizite nicht angegangen werden, vergrößern sie sich immer weiter. Bereits während des ersten Lockdowns wurde von befürchteten Schereffekten auf allen Ebenen und bei allen Akteursgruppen berichtet. Diese Schereneffekte und negativen Auswirkungen der Schulschließung bestätigen sich. Schereneffekt heißt: Gute Schüler werden besser; gute Lehrpersonen sind kreativ, engagieren sich; guter Unterricht kann auf die neuen Modalitäten abgestimmt werden. Dadurch wird der Abstand zu den weniger guten größer.

Positiv wird von Schülerinnen und Schülern wahrgenommen, dass Unterrichtszeit vielerorts strukturiert wurde, meist entlang des Stundenplans, sodass Kinder und Jugendliche die Tagesplanung weniger stark selbst gesteuert vornehmen mussten. 

Mit Schulschließungen sind natürlich auch die Eltern stark gefordert. Je mehr Kinder Eltern haben und je jünger die Kinder sind, desto mehr sind die Eltern oder Mütter gefordert. Einem hohen Anteil von Eltern fehlt die Zeit für die Lernbetreuung ihrer Kinder. Bis zu zwei Drittel geben an, dass sie durchschnittlich weniger als eine Stunde pro Tag für die Lernunterstützung ihrer Kinder Zeit haben. Bis zu einem Drittel der Eltern fehlt die fachliche Kompetenz zur Lernunterstützung ihrer Kinder. Etwa drei von zehn Eltern berichten von Spannungen im Verhältnis zu ihren Kindern.

Wie können Eltern besser entlastet werden?
Hier ist die Schule gefordert. Es ist nicht leicht. Es gibt zum Beispiel Schulen, die zu den Aufgaben für die Schüler auch Hilfestellungen für die Eltern mitschicken.

Lehrer, Eltern, Schüler - welche Gruppe müsste noch stärker in die Pflicht genommen werden?
Alle Beteiligten müssen ihren Beitrag leisten. Aber wir sehen, dass Schulen mit ihren Anstrengungen einen sehr großen Effekt auf Lernerfolge haben. Wenn diese mit den Schülern ausreichend interagieren, wenn auch der Unterricht zuhause gut strukturiert ist, ist das eine gute Voraussetzung. Es geht aber nicht nur um Wissensvermittlung, es geht um eine ganzheitlichere Förderung von Kindern und Jugendlichen. Es geht auch um die emotionalen, motivationalen und sozialen Aspekte. Benachteiligte Schülerinnen und Schüler sowie und die ‚Generation Corona‘, die jetzt die Schule abschließt, benötigen Aufmerksamkeit und Unterstützung.    

Muss man von einem verlorenen Jahrgang sprechen?
Nein. Einerseits gibt es natürlich Defizite, was den Lernstoff betrifft, aber in diesem Zusammenhang muss man auch sehen, dass unsere Schüler im vergangenen Jahr vor neuen Herausforderungen gestanden sind, die ihre Vorgänger nicht kannten. Da ging es um Selbstorganisation, um kreative Lösungsansätze, um Flexibilität bis hin zum Aushalten von Langeweile und dem Ausloten neuer Interessen. Das alles sind Erfahrungen, die im weiteren Leben auch sehr wertvoll sein können.

Wie steht Österreich im Vergleich mit Deutschland und der Schweiz da?
Staatsgrenzen spielen eigentlich keine große Rolle. Wir sehen aber leichte Vorteile in Österreich und der Schweiz, was Vorerfahrungen im Umgang mit Technik betrifft. Auch was die technische Ausstattung an den Schulen angeht, liegen die Alpenländer insgesamt leicht vorne.



Sie rufen auch dazu auf, die Krise als Chance zu verstehen.
Ja, es geht jetzt darum, die Herausforderungen der Pandemie als Chance zu sehen und in ein Lehren und Lernen für die Zukunft zu investieren. Innovation gerade in einer Krise bietet viel Potenzial. Es ist die Chance, einen klaren, machbaren und abgestimmten Weg in der Weiterentwicklung der Qualität von Schulen einzuschlagen. 

Wir haben viel Respekt für all die, die jetzt mit großem Engagement sich für die Qualität von Bildung engagieren. 

Wie kann ich mich vertiefend mit den Bedürfnissen an einzelnen Schulen auseinandersetzen?
Wir bieten einen Schul-Barometer an, wo wir auch die Lage an einzelnen Schulen erfassen können, um dann maßgeschneidertes Feedback liefern zu können. (Siehe Infobox).