Die Suche nach einem Covid-Impfstoff gleicht einem Wettrennen. Russland ist vorgeprescht, die USA und China investieren Riesensummen. Bleibt Europa auf der Strecke?
Herwig Kollaritsch:Bei der Entwicklung sehe ich diese Gefahr nicht. Hier wird übergreifend gearbeitet und die Forscher sind alle vernetzt. Natürlich wird aber ein gewisser Protektionismus vorherrschen. Der amerikanische Präsident propagiert den Slogan „America First“. Das wird wohl auch bei einem Impfstoff so sein, falls der von einer amerikanischen Firma entwickelt wird. Auf Dauer ist es für ein Land aber politisch sicher nicht auszuhalten, auf totalen Protektionismus zu setzen. Deshalb wird ein solcher Impfstoff wohl früher oder später auch in Europa zugänglich sein.

Was ist von dem russischen Impfstoff „Sputnik V“ zu halten?
Kollaritsch: Ich kann nicht sagen, ob dieser Impfstoff ein Mist ist, noch kann ich sagen, er ist das Gelbe vom Ei. Wir können ihn nicht beurteilen, weil wir keine Unterlagen und Daten bekommen haben und nichts dazu publiziert wurde. Was ich für bedenklich halte: Es erfolgt die Zulassung durch eine Arzneimittelbehörde, ohne dass über Jahrzehnte erarbeitete Standards und Regeln bei der Zulassung eingehalten wurden.

Was für Nebenwirkungen kann ein unzureichend getesteter Impfstoff auslösen?
Kollaritsch:Die können lebensgefährlich sein. Es ist, als ob ich ein Auto ohne Crashtest zulasse. Ich weiß nicht, wie es sich verhalten wird, falls ich gegen einen Baum fahre.

Erschüttert das nicht auch das Vertrauen in künftige Corona-Impfstoffe?
Kollaritsch:Das ist sicherlich der größte Pferdefuß bei der Sache. Es gibt leider Gottes Impfgegnern Munition in die Hand. Putin hat der Welt da einen Bärendienst erwiesen.

Falls in einigen Monaten ein Impfstoff in Österreich zugelassen wird: Wie groß wird die Bereitschaft in der Bevölkerung sein, sich impfen zu lassen?
Kollaritsch:Auch wenn ein gutes Produkt da ist, wird es viel Arbeit brauchen, um die Menschen davon zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, sich impfen zu lassen. Wenn dann wie jüngst ein politisch Verantwortlicher (Anm.: FPÖ-Chef Norbert Hofer) hergeht und sagt: „Ich lasse mich nicht impfen, ich habe so ein gutes Immunsystem“, das ist dann natürlich eine Katastrophe. Die Politik hat eine Verantwortung und die vermisse ich hier stark. Wenn ich mich schon nicht auskenne, dann halte ich doch den Mund – auf gut Deutsch gesagt.

Braucht es eine Impfpflicht?
Kollaritsch:Ich bin ein Gegner der Impfpflicht. Ich bin aber dafür, sie etwa im Gesundheitsbereich anzudenken. Da besteht für manche Impfungen ja auch bereits eine Pflicht.

Sollten jene, die im Gesundheitssystem arbeiten, auch zuerst geimpft werden?
Kollaritsch:Es ist sinnvoll, kritische Infrastruktur und besonders vulnerable Personen zuerst zu schützen. Vulnerabel meint hier etwa ältere oder immunsupprimierte Menschen, diese sollten den Impfstoff zuerst erhalten.

Gilt das auch für Kinder?
Kollaritsch:Nein. Erstens sind Kinder nicht besonders vulnerabel und zweitens spielen sie keine große Rolle bei der Verbreitung der Erkrankung.

Wann wird es eine Impfung geben?
Kollaritsch: Ich gehe davon aus, dass einige Impfstoffe im ersten Halbjahr 2021 bereits eine Zulassung haben werden. Bis das Impfprogramm flächendeckend ausgerollt werden kann, wird es wohl in die zweite Jahreshälfte gehen. Das ist aber immer mit einer Unschärfe von drei bis vier Monaten verbunden. Es kann auch sein, dass ein zunächst sehr vielversprechender Impfstoff dann in Phase 3 abgeschossen wird, weil etwas nicht funktioniert. Das ist bei anderen Impfstoffen bereits vorgekommen.