Einen Tag vor seinem 18. Geburtstag wird am kommenden Donnerstag noch einmal gegen einen Jugendlichen verhandelt, der am 11. Mai 2018 in Wien-Döbling ein siebenjähriges Mädchen aus der Nachbarschaft getötet hat. Dass die Tat als Mord zu beurteilen ist, steht bereits fest. In der Verhandlung geht es nur mehr um die Frage, ob der Bursch im Tatzeitpunkt zurechnungsfähig und damit schuldfähig war.

Wie mehrfach berichtet, wurden sich bei der Beurteilung dieser Frage im ersten Rechtsgang zwei erfahrene Gerichtspsychiater nicht einig. Die Geschworenen gingen schließlich von Schuldfähigkeit aus, der Bursch wurde im Dezember 2018 wegen Mordes zu 13 Jahren Haft verurteilt und im Hinblick auf die ihm innewohnende Gefährlichkeit zusätzlich in den Maßnahmevollzug eingewiesen. Weil das Erstgericht ein von der Verteidigung beantragtes psychiatrisches Obergutachten abgelehnt hatte, ordnete der Oberste Gerichtshof (OGH) in weiterer Folge die Einholung einer weiteren Expertise und eine neue Verhandlung an.

Kombinierte Persönlichkeitsstörung

Die vom Wiener Landesgericht zur Obergutachterin bestellte psychiatrische Sachverständige Kathrin Sevecke kommt in ihrer 150 Seiten umfassenden Expertise zum Schluss, dass bei dem Jugendlichen zwar eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, schizoiden und callous-unemotionalen Zügen vorliegt, aber Zurechnungsfähigkeit gegeben war. Ihrer Ansicht nach gibt es "starke Anhaltspunkte", dass der Mediengewaltkonsum des Burschen, der sich mit Hingabe und oft über Stunden hinweg japanische Manga-Serien anschaute, ein "wesentlicher Faktor" für die Bluttat war. Speziell "Death Note" - die erklärte Lieblingsserie des Schülers - , aber auch andere Anime dürften "mit dazu geführt haben, dass er den 'Thrill des Tötens' erleben wollte", heißt es in dem schriftlichen Gutachten.

"Death Note"

Der bald 18-Jährige identifizierte sich demnach mit Light Yagami, dem zentralen Protagonisten in "Death Note", der als bester Schüler Japans mithilfe eines Buches übernatürliche Kräfte erlangt und - begleitet vom Todesgott Ryuk - zu töten beginnt, um seinem Gerechtigkeitsideal Genüge zu tun. Unter dem Einfluss dieser und ähnlicher Mangas und Animes, die der Bursch eigenen Angaben zufolge seit seinem fünften Lebensjahr konsumierte, entwickelte er den Ausführungen der Sachverständigen zufolge eine Persönlichkeitspathologie, in der sich Inhalte wie in "Death Note" widerspiegeln "und die ein Stück das Tatgeschehen verstehbarer machen können", wie Sevecke notiert. Der Schüler hätte sich beispielsweise imaginierte Begleiter zur Seite gestellt, Allmachts-und Größenfantasien entwickelt und schließlich konkrete Tötungsvorstellungen mit sich getragen.

Die Dispositions- und Diskretionsfähigkeit waren bei dem Jugendlichen laut Gutachten aber nicht aufgehoben. Die Psychopathologie sei jedoch "handlungsbestimmend" gewesen, betont die Gutachterin. Sie empfiehlt, den Burschen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen in den Maßnahmenvollzug einzuweisen, da bei ihm das "hohe Risiko" eines neuerlichen Tötungsdelikts bestünde. Dem Jugendlichen mangle es an Krankheitseinsicht, Therapiemotivation, emotionaler Stabilität und einem kritischen Umgang mit dem verfahrensgegenständlichen Geschehen, hält die Sachverständige fest.

Die Verhandlung, die Richter Norbert Gerstberger leiten wird, ist auf mehrere Stunden anberaumt, zumal auch die psychiatrischen Vorgutachten erörtert werden. Mit dem Urteil dürfte in den späten Nachmittagsstunden zu rechnen sein.