Herr Stadler, Ihr neuer Wegweiser trägt den Titel "Guter Hund, böser Hund" - gilt nun also noch: "Der Hund ist der beste Freund des Menschen"?
JOCHEN STADLER: Jeder Hundebesitzer würde diesen Satz sofort unterschreiben. Es gibt aber offensichtlich immer mehr Leute, die nicht mit anderen Lebewesen umgehen können und sie deshalb ablehnen, aus Unwissen heraus fürchten oder sogar 'weghaben wollen'. Wenn es zu Problemen mit Hunden kommt, liegt deren Ursache aus Ihrer Sicht meist bei den Zweibeinern und nicht am anderen Ende der Leine.

Was sind nun die Kardinalfehler der Halter?
Viele Menschen inklusive Hundebesitzer verstehen die Körpersprache der Hunde nicht und "übersehen" Hilferufe, dass ihnen eine Situation unangenehm ist, wie Wegdrehen, Gähnen, sich Kratzen, über-die-Schnauze-Lecken. Wenn man einen gestressten Hund weiterhin bedrängt, knurrt er als, was ihm "natürlich" untersagt wird, denn ein Tier hat nicht anzuknurren. Dann schnappt er ohne Verletzungsabsicht zu, was in der Regel noch heftiger unterbunden wird. Er lernt, dass Menschen ihn nicht verstehen und lässt in Zukunft alles über sich ergehen, bis er keinen Ausweg mehr sieht und entweder ein hilfloses seelisches Wrack ist, oder aggressiv wird und ernsthaft zubeißt. Dies geschieht für viele Menschen überraschend, ist aber nur das Ergebnis von lange andauerndem Fehlverhalten.



"Kampfhund" - können Sie mit diesem Begriff etwas anfangen?
Es gab eine Zeit, als Vierbeiner für den Kampf Hund gegen Hund in der Grube gezüchtet wurden, wo für Besitzer und Zuschauer Geldpreise und Wetten zu gewinnen waren. Ihnen war eine Aggression gegen andere Hunde eigen, Menschen gegenüber durften sie diese jedoch nicht zeigen. Heute sind sie teils ruhige und ausgeglichene Familienhunde, teils wurden sie aber von Menschen in Verruf gebracht, die durch einen bulligen, stämmigen Hund mit rasselnder Eisenkette um den Hals Eindruck schinden wollen.

Der neue Wegweiser "Guter Hund, böser Hund", erhältlich im gut sortierten Buchhandel, gebunden, 224 Seiten, EcoWin-Verlag, 20,00 Euro.
Der neue Wegweiser "Guter Hund, böser Hund", erhältlich im gut sortierten Buchhandel, gebunden, 224 Seiten, EcoWin-Verlag, 20,00 Euro. © EcoWin



"Rasselisten sind rassistisch", schreiben Sie: Haftet einigen Rassen ihr Ruf, gefährlicher als andere zu sein, also zu unrecht an?
Definitiv. Sämtliche Beißstatistiken widerlegen, dass es gefährliche und ungefährliche Rassen gibt. Die "Listenhunde" führen keine mir bekannte Statistik von Beißvorfällen an, in der Regel sind sie dort unter "ferner liefen".

Die Wahrnehmung, dass es mehr Attacken gibt – ein Zerrbild?
Daten zeigen, dass die Zahl der Beißvorfälle sinkt. Es wird demnach vermehrt darüber berichtet, nicht vermehrt gebissen.
Eine gewisse Rasse als Statussymbol: Ihre Meinung dazu?
Leider schaffen sich viel zu viele Leute ihre Hunde anhand des Aussehens und nicht nach dem Charakter an, und wollen wohl auch nicht selten einen Teil ihres Rufes auf sich selbst übertragen sehen. Das können muskelbepackte Rottweiler und Bullterrier für bierbauchbewehrte Männer sein genau so wie fesche Pudel und Afghanen für die Ladies der Innenstadt.

Sind Hunde heute gefährlicher, überforderter als vor 30 Jahren?
Man geht eher mit der Gefahr, die von ihnen ausgeht, anders um als früher. Es war einmal wünschenswert, wenn ein Hund einen Einbrecher beißt, heute wird man von letzterem verklagt. Trotzdem stresst die moderne Umwelt einen Hund sicher sehr stark, wenn er nicht fürsorglich an sie herangeführt und gut sozialisiert wird. Heute sind die Besitzer wahrscheinlich mehr gefordert, dass die Hunde geistig und körperlich ausgeglichen sind, als früher.

Würden Sie jede Hunderasse in Familien gutheißen? Ab welchem Kindesalter ist es unbedenklich, einen Hund im Alltag zu haben?
Ich würde keine Rasse ausschließen, aber es gibt bei verschiedenen Rassen verschiedene Dinge zu berücksichtigen. Manche Hütehunde haben zum Beispiel ein Problem, wenn sich die Familienmitglieder zu sehr voneinander entfernen, und wollen sie zusammentreiben, was durchaus mit Zwicken verbunden sein kann. Manche sind sehr stürmisch und können Kinder umschmeißen, solche aus einer Schutzhundelinie beißen wohl schneller als andere zu. Erstens ist es wichtig, dass Kinder Hunden Freiraum und Rückzugsmöglichkeiten lassen. Zweitens sagen Forscher, dass ganz kleine Kinder mit manchen raschen Bewegungen den Beuteinstinkt auslösen können. Vor dem Schulalter wäre ich äußerst vorsichtig, Hunde und Kinder alleine zu lassen. Dann kommt es auf die jeweiligen individuellen Eigenschaften an.

Was halten Sie vom Hundeführschein – kein Ersatz dafür, sich als Halter permament mit seinem Begleiter zu beschäftigen?
Er ist ein guter Schritt in die richtige Richtung, jeder Hundebesitzer sollte ihn haben. Es ist aber erst der Anfang: Mensch sollte sich viel ausführlicher als dort gefordert über Verhalten, Bedürfnisse und mögliche Problemfelder informieren.

Genügt das, was in Hundeschulen gelehrt wird, gemeinhin?
Was in den heimischen Hundeschulen gelehrt wird ist extrem unterschiedlich. Hier bräuchte es bessere Standards hinsichtlich Tierschutz sowie positiven Lern- und Erziehungsmethoden statt Zwang und teils Gewalt. Es gibt sehr tolle, moderne Hundeschulen, aber meiner Erfahrung nach noch mehr, bei denen nicht alles rund läuft.

Sie schreiben bewusst provokant von der „gemeinsamen Haustierwertung von Mensch und Hund“: Wie meinen Sie das?
Es ist ein wissenschaftlicher Fakt, dass sowohl Menschen wie Hunde sich zur ähnlichen oder selben Zeit und in direktem Kontakt stehend veränderten: Im Gegensatz zu ihren jeweiligen Vorfahren den Wölfen und "Menschenähnlichen" sind sie ewig lernende, ewig verspielt und kindlich bleibende Wesen, die sich dadurch gut an veränderte Umweltbedingungen anpassen können.

"Helikopter-Herrlis", denen Sie ein Kapitel widmen – welche Probleme beschwört dieser Typ herauf?
Wenn man Hunde mit allzuviel unterschiedlicher Beschäftigung und Obsorge bedenkt, sind sie überfordert und gestresst. In unangenehmen oder unbekannten Situationen reagieren sie weniger souverän als ein ausgeglichener Hund.

Welchen Rat würden Sie einem Menschen geben, der sich erstmals einen Hund ins Leben holt? Wie sollte er ihn aussuchen?
Er sollte sich überlegen, was er mit dem Hund tun möchte, und welche Verhaltenseigenschaften ihm wichtig sind, und sich die dazu am besten passende Rasse aussuchen. Einen Welpen zu erziehen, braucht wie bei einem Kleinkind viel Zeit und Geduld, dafür muss man nicht mit "Altlasten" zurechtkommen, die zum Beispiel ein Tierheimhund in der Regel psychisch mit sich herumschleppen muss.

Meist liegt das Fehlverhalten also beim Hundehalter - was sind aber die Situationen, in denen ein Hund trotz bester Führung tatsächlich unberechenbar bleibt?
Auch dort liegt meiner Meinung nach das Fehlverhalten beim Hundehalter: Wenn ein Hund in Verlegenheit kommen kann, Wild nachzuhetzen, muss man ihn an der Leine halten. Damit er den Briefträger nicht beißt, muss man einen zusätzlichen Zaun bauen, damit er hinten im Garten bleibt, oder ihn im Haus lassen. Damit er sein Essen nicht gegen Kinder verteidigt, muss man dafür sorgen, dass er ungestört futtern kann.

Fehlt es oft am Verständnis, dass ein Hund eben gerade nicht nach menschlichen Denkmustern reagieren kann und will?
Viele Leute vermenschlichen ihre Hunde sicherlich sehr und haben vielleicht Probleme, hündisches Verhalten zu akzeptieren. Dies ist bedauerlich, denn darunter leiden die Beziehung, die Hunde und ihr Ruf.

Was kann ein Mensch von einem Hund lernen? 
Hunde leben genau so wie kleine Kinder viel mehr im Hier und Jetzt, als Erwachsene. Wir sollten von ihnen lernen, den Tag zu genießen und uns nicht zu viel Sorgen um materielle Dinge und die Zukunft zu machen.

Wie nahe stehen wir einander?
So nahe wie kaum zwei andere unterschiedlichen Arten auf dem Planeten.