Die Zahl der Menschen, die zwangsweise in der Psychiatrie untergebracht werden, hat sich seit 1991 verdreifacht. 17.800 Personen waren es laut einer Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie im Jahr 2018. Gestiegen ist vor allem die Zahl jener Patienten, die nur ein bis drei Tage in der Psychiatrie bleiben, was darauf schließen lässt, dass die Einweisung nicht immer nötig war.

"Eine zwangsweise Unterbringung in der Psychiatrie kann potenziell jeden Menschen treffen und bedeutet einen großen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte", sagte einer der Studienautoren, der Rechtswissenschafter Walter Hammerschick am Dienstag zum Anlass des internationalen Tages der seelischen Gesundheit am 10. Oktober. Seine Ko-Autorin Hemma Mayrhofer erläuterte dies an dem Beispiel der 82-jährigen Marta S. Die Frau, die an fortschreitender Demenz erkrankt ist, lebte im eigenen Haushalt. Sie konnte sich aber immer weniger selbst versorgen und ließ zugleich keine Hilfsdienste in ihre Wohnung. Die Situation eskalierte kurzfristig. Da aber kein adäquater Heimplatz zur Verfügung stand, wurde S. unfreiwillig in die Psychiatrie eingewiesen. Dort warte sie nun seit Monaten auf einen Heimplatz mit psychiatrischem Pflegeangebot.

Selbstgefährdung

"Dieser leicht verfremdete und anonymisierte Fall ist keine Ausnahme", sagte Mayrhofer. Wer bei "Unterbringungen ohne Verlangen" (so die Bezeichnung im Gesetz) an spektakuläre Vorfälle von Gefährdungen anderer Personen denkt, irre mehrheitlich: Häufiger liege eine Selbstgefährdung vor, beispielsweise bei suizidgefährdeten Personen oder wie bei Marta S. aus einem "Selbstfürsorgedefizit". Diese Fälle machen laut Studienergebnisse deutlich über die Hälfte bis zwei Drittel der Unterbringungen aus, während ausschließliche Fremdgefährdung nur in 15 bis 20 Prozent der Unterbringungen vorliegt. In etwa einem Viertel der Fälle seien sowohl Selbst- als auch Fremdgefährdung gegeben.

Das Unterbringungsgesetz (UbG) aus dem Jahr 1991 habe für Patienten eine rechtliche Verbesserung herbeigeführt, betonen Hammerschick und Mayrhofer. Ein mehrstufiges Kontrollsystem soll sicherstellen, dass Freiheitsbeschränkungen in der stationären Psychiatrie dem Gesetz entsprechen: Wenn eine Person nicht aus eigenem Willen in die Psychiatrie will, muss zunächst die Polizei eine erste Einschätzung vornehmen. Dann muss sie einen Arzt im öffentlichen Sanitätsdienst über eine Einweisung nach UbG entscheiden. Drittens wird in der Psychiatrie geprüft, ob die Voraussetzungen erfüllt sind. Und viertens findet innerhalb von wenigen Tagen eine gerichtliche Überprüfung der Unterbringung statt. Betroffene bekommen Unterstützung durch die mit dem UbG neu eingeführte Patientenanwaltschaft.

Ein Teil des Anstiegs der Einweisung in der Psychiatrie ist auch auf ein gestiegenes Rechtsbewusstsein zurückzuführen. Früher dürfte bei Freiheitsbeschränkungen weniger oft eine Meldung an das Gericht erfolgt sein. Die Studienergebnisse lassen darüber hinaus eine steigende "Absicherungsorientierung" erkennen. Mayrhofer: "Man will vermeiden, für eine Nicht-Einweisung verantwortlich gemacht zu werden, und weist deshalb sicherheitshalber schneller in die Psychiatrie ein, obwohl dies bereits eine Freiheitsbeschränkung bedeutet." Häufiger Grund seien auch fehlende alternative Betreuungsplätze und betreute Wohnungsangebote, die oft günstiger als ein Platz in der Psychiatrie seien.

Große regionale Differenzen

Zugleich gebe es große regionale Differenzen, was die Anzahl der Unterbringungen betrifft. In Niederösterreich und Wien sei die Rate am niedrigsten. "Manche sprechen davon, dass es von der Postleitzahl abhänge, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, in die Psychiatrie eingeliefert zu werden", erklärte Mayrhofer. In manchen Regionen stünde einfach zu wenig ärztliches Personal zur Verfügung. Dort bringt dann die Polizei häufiger Personen mit "Gefahr in Verzug" in die Psychiatrie. "Sie kompensiert also in gewissem Ausmaß den Mangel an Ärztinnen und Ärzten. Dadurch wird jedoch auch das ärztliche Kontrollsystem auf dem Weg in die Psychiatrie abgeschwächt."

Gute Kooperationen und Vernetzungen der relevanten Akteure sei nötig, ergänzte Hammerschick. Die Befragungen der Akteure, was einen Teil der Studie ausmachte, zeigte, dass offenbar in den meisten Regionen kaum persönliche Kontakte bzw. Abstimmungen zwischen den zuweisenden Ärzten und den psychiatrischen Kliniken gebe. Die Studienautoren raten dazu, die Fälle genauer abzuwägen und die Unterbringungsalternativen zu vermehren. Sie plädierten für eine verantwortungsvolle Rechtsanwendung des UbG. "Dabei gilt es darauf zu achten, gesellschaftliche Errungenschaften wie persönliche Grundrechte nicht einseitig zugunsten von faktisch nicht einlösbaren Sicherheitsversprechungen einzuschränken."