Ein besonders tragischer Fall von Kindesmissbrauch ist am Dienstag am Wiener Landesgericht verhandelt worden. Ein inzwischen sieben Jahre altes Mädchen ist - so jedenfalls die erstinstanzlichen Feststellungen eines Schöffensenats - im September 2017 und im November 2018 von zwei verschiedenen Männern missbraucht worden, die einander bis zum Prozess nicht gekannt und nie gesehen hatten.

Das Mädchen traf sich regelmäßig mit einer Freundin zum Schwimmen, die dabei meistens von einem älteren Verwandten begleitet wurde. Dieser - ein 61 Jahre alter Mann - nahm im vergangenen Herbst die damals Sechsjährige unter dem Vorwand, ihr einen Badeanzug schenken zu wollen, nachher mit in seine Wohnung. Dort angelangt, forderte er das Mädchen laut Anklage auf, sich auszuziehen und den neuen Badeanzug anzuprobieren. Dann soll er das Mädchen schließlich missbraucht haben. Unter anderem soll es zu Oralsex gekommen sein.

Nach einigen Tagen vertraute sich das Mädchen der Mutter an und berichtete bei dieser Gelegenheit, der "Stiefpapi" habe so etwas Ähnliches auch schon gemacht. Die Mutter ging mit ihrer Tochter zur Polizei, wo diese ausführlich vernommen wurde. Neben dem 61-Jährigen belastete das Mädchen dort auch den 53 Jahre alten Stiefvater. Dieser habe sich eines Tages zu ihr ins Bett gelegt und Handlungen in ihrem Intimbereich vorgenommen. Daraufhin wurden beide Männer am 8. Dezember 2018 festgenommen.

Kind nicht mehr vernehmungsfähig

Im Zuge des Ermittlungsverfahrens wollte die Staatsanwaltschaft mit dem Mädchen eine kontradiktorische Einvernahme durchführen. Der neuerlichen Befragung war die Siebenjährige aber nicht mehr gewachsen. Das Vorhaben musste abgebrochen werden, das Mädchen war nicht mehr vernehmungsfähig. In einem in weiterer Folge eingeholten kinderpsychologischen Gutachten stellte eine Sachverständige fest, dass dem Mädchen grundsätzlich eine "genaue Auffassungsgabe" eigen ist und es keine Hinweise auf eine Falschaussage oder Fantasieangaben gibt.

Für Staatsanwältin Lea Hollenstein stand daher fest: "Dieses Kind hat das selbst erlebt." Die Angeklagten verantworteten sich dagegen leugnend. "Ich bin 53 Jahre alt. Ich habe in meinem ganzen Leben nix angestellt. Ich habe nie in meinem ganzen Leben ein Kind angefasst", beteuerte der Stiefvater. Er erklärte sich die gegen ihn gerichteten Anschuldigungen damit, dass er sich geweigert habe, die Mutter seiner - mittlerweile ehemaligen - Lebensgefährtin nach Wien zu holen und dieser einen Mann zu suchen. Sein Verteidiger argumentierte wiederum, das Mädchen habe die Mutter eines Tages bei der Selbstbefriedigung beobachtet und projiziere diese Wahrnehmungen nun auf sich, wobei sie die Handlungen fälschlicherweise dem Stiefvater zuschreibe.

Der Zweitangeklagte wiederum versicherte: "Sie war für mich ein ganz normales Mädchen." Er habe "nix angestellt".

Längere Haftstrafen

Dessen ungeachtet verurteilte das Gericht am Ende beide - bisher unbescholtenen - Männer, wobei Richterin Petra Poschalko auf die "kindgerechten, nachvollziehbaren" Angaben des Mädchens vor der Polizei verwies. "Es gibt keinen Anhaltspunkt, warum sie falsch aussagen sollte", meinte die Richterin. Der 61-Jährige wurde wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses bei einer Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilt. Der Stiefvater erhielt wegen sexuellen Missbrauchs von Unmündigen - Strafdrohung: sechs Monate bis fünf Jahre - und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses zwei Jahre Haft, davon acht Monate unbedingt. Beide Männer erbaten Bedenkzeit, die Staatsanwältin gab keine Erklärung ab. Die Urteile sind somit nicht rechtskräftig.

Bei dem betroffenen Mädchen ist inzwischen eine posttraumatische Belastungsstörung aufgetreten. Da sich nicht klären ließ, inwieweit welche der beiden inkriminierten Tathandlungen dafür kausal waren, konnten diese Folgen den Angeklagten nicht zugerechnet werden.