Die Diskussionen über mutmaßliche Polizeigewalt bei einer Klima-Demonstration am Freitag in Wien reißen nicht ab. Bereits zwei Videos zeigen, wie bei der Sitzblockade am Freitag ein Demonstrant mit dem Kopf unter einem Polizeiwagen fixiert wurde, der plötzlich wegfuhr. Die Wiener Polizei hat am Mittwoch eingeräumt, dass es sich dabei um eine "gefährliche Situation" gehandelt hatte.

Zuvor hatte Wiens Vizepolizeipräsident Michael Lepuschitzam Dienstag noch in mehreren Interviews bestritten, dass der Kopf des Aktivisten unter dem Auto war. "Diese Videoperspektive zeigt tatsächlich eine gefährliche Situation. Unabhängig von der bereits eingeleiteten strafrechtlichen Überprüfung wird dieser Vorfall im Zuge einer Evaluierung in die Einsatztaktik und das Einsatztraining einfließen", twitterte die Polizei am Mittwoch. "Auch das neue Video wird der Staatsanwaltschaft übermittelt", sagte Daniela Tunst, Leiterin der Pressestelle der Polizei Wien in einem schriftlichen Statement.

Ermittlungen gegen vier Beamte

Nach den Fällen von mutmaßlicher Polizeigewalt bei einer Klima-Demonstration in Wien ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen vier Beamte. Drei sind bereits namentlich bekannt, ein vierter muss noch ausgeforscht werden. Es besteht der Verdacht der Körperverletzung und der schweren Körperverletzung unter Ausnützung einer Amtsstellung sowie der Gefährdung der körperlichen Sicherheit, hieß es in einer Aussendung.

Bisher wurden laut der Behörde fünf Zeugen einvernommen. Noch nicht befragt wurden die Beschuldigten, sagte Nina Bussek, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien. Zahlreiche weitere Einvernahmen sollen in den nächsten Tagen stattfinden.

Ein Polizist wurde am Montag in den Innendienst versetzt. Weitere Konsequenzen gibt es seitens der Polizei nicht. "Derzeit sieht die Landespolizeidirektion Wien keine Veranlassung für weitere dienstrechtliche Maßnahmen", hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA.

Vier Fälle werden untersucht

Vier Fälle von Polizeigewalt werden nun untersucht. Dabei handelt es sich um den zuerst bekannt gewordenen Fall, wo ein Polizist auf einen in Bauchlage von mehreren Beamten am Boden fixierten Mann mehrfach einschlug. Der Polizist steht im Verdacht, dadurch eine Körperverletzung begangen zu haben. Der zweite Fall betrifft den Vorwurf eines Aktivisten, dass ihm bei der Räumung der Blockade von einem Beamten die Hand gebrochen worden sein soll, weshalb gegen den Beamten wegen schwerer Körperverletzung unter Ausnützung einer Amtsstellung ermittelt wird.

Die dritte Causa betrifft jenen Demonstranten, dessen Kopf von Beamten unter einem Polizeiwagen fixiert wurde. Der Fahrer des Fahrzeugs blickte aus dem Fenster noch nach hinten, bevor er wenig später losfuhr. Die beiden Polizisten konnten den Mann im letzten Moment nach oben reißen und so verhindern, dass sein Kopf überrollt wurde. Hier steht eine Gefährdung der körperlichen Sicherheit im Raum, ermittelt wird gegen einen Beamten. Im Falle einer Verurteilung droht für dieses Delikt eine Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder eine Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen. Die vierte Causa betrifft eine allfällige Körperverletzung, erläuterte Behördensprecherin Bussek. Worum es sich dabei genau handelt, sagte sie mit Verweis auf laufende Ermittlungen nicht.

Staatsanwaltschaft entscheidet

Die Staatsanwaltschaft stellte in ihrer Aussendung klar, "dass die Leitung des Ermittlungsverfahrens allein der Staatsanwaltschaft zukommt. Sämtliche Schritte der Kriminalpolizei erfolgen daher in Absprache mit dem zuständigen Staatsanwalt. Die Verdachtsbeurteilung obliegt ausschließlich der Staatsanwaltschaft Wien", hieß es in der Aussendung. Seitens der Wiener Polizei werden die Erhebungen vom Referat für besondere Ermittlungen geführt. "Es liegt nicht in der Kompetenz der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen auf Polizeiebene in ein anderes Bundesland zu delegieren", erklärte Bussek. Bei der Einvernahme der beschuldigten Polizisten werde aber auf jeden Fall immer auch der Staatsanwalt dabei sein.

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Im ZIB2-Interview am Dienstag war Lepuschitz mit dem Video konfrontiert worden. "Ich gehe davon aus, dass das nicht beabsichtigt war", sagte er. Außerdem hätten "die Beamten sehr rasch reagiert, es ist niemand zu Schaden gekommen", meinte der Vizepolizeipräsident. Am Mittwoch meinte er gegenüber dem "Kurier", dass es die Aufgabe der Beamten gewesen sei, "sicheres Terrain zu suchen". "Die Idee, das hinter dem Funkwagen zu machen, war hervorragend", sagte der Polizeivize. Die beiden Polizisten "konnten aber nicht wissen, dass der Kollege wegfährt". Es seien "unglückliche Umstände" zusammengekommen.

Polizeiintern diskutiert

Lepuschitz äußerte sich in diesem Interview auch zum anderen Video, das zeigt, wie ein Polizist auf einen in Bauchlage von mehreren Beamten am Boden fixierten Mann mehrfach einschlägt. Dieser Polizist war am Montag in den Innendienst versetzt worden. Lepuschitz sprach nun davon, dass es bei den Schlägen darum ging, "die Spannung zu senken", damit dem Mann Handfesseln angelegt werden konnten. Auch betonte er, dass Körperkraft ein minderes Mittel als Waffen wie beispielsweise Pfefferspray oder Schlagstock ist.

Die mögliche Polizeigewalt bei der Räumung der Blockade am Freitag in Wien wird auch polizeiintern diskutiert. Öffentliche Kritik seitens der Exekutive wurde in Österreich bisher nicht geäußert. Der deutsche Polizeibeamte und Politiker Oliver von Dobrowolski wiederum fand auf Twitter scharfe Worte. "Habe mir das Video einige Male angesehen und einige Stunden wirken lassen. Zu erkennen sind Polizisten, die einen fixierten Mann mit dem Kopf vor dem Reifen eines Polizeibusses ablegen. Dann gibt der Fahrer Gas. Mir fällt kein Grund für ein 'Versehen' ein. Und das ist furchtbar...", twitterte der Bundesvorsitzende der Berufsvereinigung PolizeiGrün. "So fixiert man niemanden", erklärte der Kriminalhauptkommissar weiter.