Tumultartige Szenen bei der Abschiebung einer achtköpfigen tschetschenischen Familie im Sommer 2017 haben am Freitag das Wiener Landesgericht für Strafsachen beschäftigt. Der Großvater der betroffenen Familie und seine Lebensgefährtin - eine Journalistin - hatten sich wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung zu verantworten.

Festnahmeantrag

Am frühen Morgen des 24. Juli 2017 hatte es an der Tür der in Wien-Donaustadt gelegenen Wohnung der tschetschenischen Familie geläutet. Die Fremdenpolizei war mit einem Festnahmeantrag gekommen, um die Abschiebung eines Ehepaars und ihrer sechs Kinder zu vollziehen. Der von der Abschiebung nicht betroffene Großvater soll trotz eingeschränkter Mobilität mit seinem Rollstuhl mehrfach gegen die Beine eines Beamten gefahren sein, um die Amtshandlung zu behindern. Als sein Rollstuhl umkippte, soll der 59-Jährige den Polizisten im Gesichtsbereich verletzt haben.

Der Mann bekannte sich dazu nicht schuldig. "Dieser Vorgang, der da angeklagt ist, den gibt's so nicht", meinte Verteidiger Herbert Pochieser. Die Polizei habe zwei Mal den Rollstuhl seines Mandanten umgeworfen. Im Zuge eines Sturzes habe sich der 59-Jährige am T-Shirt eines Beamten festhalten wollen. Dabei dürfte sich jener "Abwehrverletzungen" zugezogen haben. In Wahrheit sei aber die Polizei gegen den Großvater gewalttätig geworden, stellte Pochieser fest: "Er wurde von hinten zu Boden gebracht. Es wurde mit dem Ellenbogen gegen seine Halsschlagader gedrückt, bis er bewusstlos war."

Das bestätigte der 59-Jährige. Das erste Mal sei der Rollstuhl umgefallen, als er sich erheben wollte. Da habe er einen Stoß bekommen und sei rücklings gefallen. Beim zweiten Mal habe ihn ein Beamter mit beiden Händen bzw. Armen am Hals erfasst und gewürgt: "Es war schwer für mich zu atmen." Beim Versuch, sich aus dem Würgegriff zu befreien, "bin ich nach rechts umgekippt worden", gab der 59-Jährige zu Protokoll. Ein von der Staatsanwaltschaft gegen den betreffenden Polizisten geführtes Strafverfahren ist allerdings eingestellt worden. Einem dagegen eingebrachten Fortführungsantrag wurde nicht stattgegeben, die Verfahrenseinstellung ist damit rechtskräftig.

Der Großvater hatte telefonisch seine Lebensgefährtin verständigt, als die Fremdenpolizei in Begleitung von Beamten der Logistikabteilung der Wiener Landespolizeidirektion in der Wohnung stand. Offenbar wurden seitens der Exekutive im Vorhinein Probleme bei der Abschiebung befürchtet, weshalb die Polizei die Amtshandlung mitfilmen ließ. Die Partnerin des 59-Jährigen setzte sich in ihr Auto und begab sich umgehend zur Wohnung der tschetschenischen Familie.

Sie wurde jedoch nicht in die Wohnung gelassen. Wie auf dem Polizeivideo zu sehen ist, wurde sie in durchaus sachlichem Tonfall darauf aufmerksam gemacht, dass dies nicht möglich sei. "Das bringt nur Wirbel", beschied ihr eine Polizistin. Darauf ist die Journalistin lautstark zu hören, die "Ich bin Journalistin! Ich habe das Recht, verdammt noch mal!" äußert und sich mit Nachdruck in die einen Spalt geöffnete Tür drängen will. Beamte schieben - wie das Video zeigt - die Frau zurück, worauf sie zu Sturz kommt.

Der Darstellung der Polizei zufolge soll sie sich fallen lassen haben. Die Journalistin schilderte das Zu-Boden-Gehen, das auf dem Video nicht zu sehen ist, da Einsatzkräfte bzw. die Tür die Sicht verstellen, dagegen folgendermaßen: Ein Beamter habe sie an der Hand erfasst, an den Haaren gerissen und "zu Boden geknallt", wie sie Richter Thomas Kreuter versicherte.

Das Video dokumentiert in weiterer Folge, wie die in Bauchlage am Boden befindliche Journalistin plötzlich mit beiden Händen ein Bein einer jungen Polizistin umklammert. Nachdem sie der 29-Jährigen zuvor schon aufgrund von wildem Gebärden und Um-sich-Schlagen Kratzer am Unterarm zugefügt haben soll, soll sie nun den Versuch unternommen haben, diese zu beißen. "Ich habe gespürt, dass Zähne am Wadl sind. Deswegen gehe ich heute noch davon aus, dass es ein Beißen war, weil ein Zug da war", schilderte die Polizistin. Sie habe bemerkt, "dass Zähne da gewesen sind und diese zugegangen sind". Die Frau habe aber nur ihre Hose und nicht den Knochen erwischt. Deshalb nahm die Polizistin davon Abstand, sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte anzuschließen und verzichtete damit auf Schmerzengeld-Ansprüche gegen die Journalistin.

Diese bestritt, gebissen zu haben. Dazu wäre sie gar nicht in der Lage, behauptete sie unter Verweis auf angebliche Kieferprobleme. Die Anklage sei insofern "absurd", weil ihr diese Probleme seit längerem zu schaffen machen würden. Sie habe, als sie am Boden vor der Wohnung lag, ihren Kopf instinktiv Richtung Bein der Polizistin "gedrückt, um den Kiefer zu schützen. Der ist verknöchert", gab die Angeklagte zu Protokoll. Schon wenn ihr jemand eine bloße Ohrfeige gebe, "kann es sein, dass der Kiefer runterbricht", erläuterte die Frau.

Strafverfahren läuft

Für die Journalistin hatte der Zwischenfall massive berufliche Konsequenzen: Sie wurde am folgenden Tag von ihrem Arbeitgeber zunächst fristlos entlassen, was später in eine vorläufige Suspendierung umgewandelt wurde. Diese ist inzwischen wieder aufgehoben. Ob sie in dem Medium dauerhaft weiterbeschäftigt wird, hängt vom Ausgang des Strafverfahrens mit.

Ebenfalls am unmittelbar auf die Amtshandlung folgenden Tag wurde die in Schubhaft genommene tschetschenische Familie abgeschoben. Das Ehepaar wurde am frühen Morgen nach Polen gebracht, obwohl eines der Kinder - ein kleines Mädchen - an einer krankheitsbedingten körperlichen Einschränkung leidet. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Abschiebebescheid nach einem langwierigen Rechtsstreit jedoch behoben.

Die Familie befindet sich inzwischen wieder in Österreich und ist zum Asylverfahren zugelassen.