Kritik an vielen Maßnahmen des Pädagogik-Pakets übt die Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB). Insgesamt fehle es dem Gesetzesvorhaben an "wissenschaftlicher Evidenz", bemängeln die Bildungsforscher am Dienstag. Unter anderem sei "Notenwahrheit eine Illusion", so die ÖFEB.

"Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keine Evidenz dafür, dass Ziffernnoten das Lernen der Schüler/innen fördern. Dennoch ist im Pädagogik-Paket vorgesehen, Ziffernnoten ab der zweiten Schulstufe der Volksschule verpflichtend einzuführen." Alternative Leistungsbeurteilungen hätten sich in der Forschung und Praxis als "deutlich förderlicher" für Lern- und Entwicklungsfortschritte erwiesen.

Mehr Individualisierung und innere Differenzierung

Auch die Möglichkeit zur Einführung dauerhafter Leistungsgruppen in den Neuen Mittelschulen (NMS) bzw. künftig Mittelschulen sehen die Forscher skeptisch: Diese seien "dysfunktional". "Länder mit hoch leistungsstarken Schulsystemen setzen aus gutem Grund verstärkt auf innere Differenzierung anstatt auf die Einrichtung dauerhaft getrennter Leistungsgruppen. Ein modernes Bildungssystem muss den differenzierten Anforderungen durch mehr Individualisierung und innere Differenzierung und weniger durch äußere Differenzierung Rechnung tragen." Für Österreich hätten etwa wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, dass schon das Leistungsgruppenprinzip in der ehemaligen Hauptschule nicht die angestrebte Förderwirkung entfaltet habe "und im Endeffekt mehr Abstufungen als Aufstufungen von Schüler/innen nach sich zog".

Die ÖFEB ersucht die Regierung daher "dringend, wissenschaftliche Erkenntnisse - im Sinner einer Evidenzbasierung - bildungspolitisch zu nutzen und Vorhaben, die dem Stand der Wissenschaft widersprechen, zurückzunehmen".

79 Stellungnahmen

Zum geplanten Pädagogik-Paket waren bis zum Ende der Begutachtungsfrist vergangenen Freitag insgesamt 79 Stellungnahmen eingegangen, darunter viele von Lehrern und Schulleitern. Am häufigsten wurden in den Schreiben die Verpflichtung zu Ziffernnoten mit Ende der 2. Klasse Volksschule und die Möglichkeit, in den Mittelschulen fixe Leistungsgruppen einzuführen, bemängelt. Aus Sicht der Stadt Wien werden damit etwa "schulautonome Freiräume in der Notengebung zurückgedrängt". Dass Eltern trotz Entscheidung der Klasse für eine Alternative Beurteilung zusätzlich auch Ziffernnoten einfordern können, führt für den Landesschulrat Kärnten "den Klassenforumsbeschluss ad absurdum".

Keine Freude hat man in der Stadt Wien außerdem mit den möglichen Leistungsgruppen an NMS. Auch eine Notenskala von "Sehr gut" bis "Nicht genügend" auf zwei Leistungsniveaus ("Standard", "Standard AHS") bedeute "Separierung, Aussortierung bzw. soziale Selektion", die Einführung in der 6. Schulstufe sei "aus pädagogischer Sicht verfrüht". Der Kärntner Landesschulrat warnt ebenfalls vor mangelnder Durchlässigkeit, wodurch "pädagogisch keine Orientierung nach oben gelingt und psychologisch die Stigmatisierung der 'Standard'schüler/innen im Klassenverband Auswirkungen auf deren Selbstwert hat". Die IV besteht auf der Möglichkeit, flexibel zwischen den beiden Leistungsniveaus zu wechseln und warnt, dass diese "keinesfalls an den früheren A und B-Zug anknüpfen" dürften.

Wie der burgenländische und Tiroler Landesschulrat pocht Wien in seiner Stellungnahme darauf, dass der Bund auch in Zukunft für die Differenzierung an den Mittelschulen zusätzliche sechs Lehrerstunden finanzieren müsse. Gleichzeitig befürchtet Wien durch die Möglichkeit, ein freiwilliges 10. Schuljahr an den Polytechnischen Schulen zu verbringen, höhere Kosten.

Kind-Eltern-Lehrer-Gespräche

Für die IV ist außerdem nicht nachvollziehbar, wieso die Kind-Eltern-Lehrer-Gespräche von der NMS auf andere Pflichtschultypen ausgeweitet werden, AHS-Schüler aber nicht davon "profitieren" können. Leistungsgruppen sollten aus IV-Sicht an den Gymnasien ebenfalls möglich sein, "um dem tatsächlichen Leistungsstand der dortigen Schülerpopulation Rechnung zu tragen". Die Intention der Regierung, Notendruck von den Volksschullehrern zu nehmen und mehr Schüler in Mittelschulen zu lenken, sei "politisch legitim". Gerade in Ballungsräumen könnte das allerdings zu "Ausweichbewegungen" an Privatschulen führen, warnt die IV.

Der Familienbund Österreich zeigt sich insgesamt zufrieden mit den geplanten Änderungen: Noten ab der ersten Klasse zusammen mit schriftlichen Erläuterungen seien "durchaus positiv", Zustimmung kommt auch zur Ausweitung des verpflichtenden Förderunterrichts (derzeit an den NMS, Berufsschulen) sowie der KEL-Gespräche (derzeit NMS) auf alle Pflichtschultypen. Leistungsgruppen könnten wiederum den Unterricht "wesentlich effizienter machen", ein flexibler Wechsel müsse dafür allerdings gewährleistet sein.