Frau Maurer, Sie sind diese Woche in erster Instanz wegen übler Nachrede verurteilt worden, weil Sie übelste sexistische Direktnachrichten eines Bier-Geschäftbesitzers veröffentlich haben. Wie geht es Ihnen jetzt?
SIGRID MAURER: Mir geht es grundsätzlich gut, es belastet mich nicht über die Maßen. Es war mir schon klar, dass es möglich ist, mit einem Schuldspruch auszusteigen, gerechnet habe ich aber nicht damit.

Was hat sich nach dem Urteil abgespielt?
Es ist sehr hektisch, Interviewanfragen häufen sich, die Geschichte zieht Kreise bis zur „Welt“, dem „Spiegel“ und „Le Monde“. Ich habe Tausende Nachrichten auf Social Media bekommen und habe aber neben meinem Job noch keine Zeit gehabt, alles zu sichten.

Sie haben nach dem Urteil wieder sexistische Nachrichten gepostet, die Sie bekommen haben. Gibt es eine neue Hasswelle?
Nein, es sind viel weniger negative Nachrichten als sonst, es gibt keine Hasswelle. 99,9 Prozent sind positiv. Aber es gibt auch die üblichen Mord- und Vergewaltigungsdrohungen.

Solidarisieren sich hauptsächlich Frauen mit Ihrer Causa?
Nein, das geht quer durch, auch durch alle Altersschichten. Auch ein 72-jähriger Mann hat mir geschrieben. Er ist zwar nicht im Internet, hat aber das alles nachgelesen und mir seine ausdrückliche Unterstützung ausgesprochen.

Sie waren lange politisch aktiv und sind mit den Grünen 2017 aus dem Nationalrat geflogen. Ist dieser Prozess und die Debatte über ein Gesetz, mit dem sich frau gegen sexualisierte Gewaltnachrichten wehren kann, Ihr größter politischer Erfolg?Nein, ich habe es etwa im Nationalrat geschafft, dass die Universitäten 1,35 Milliarden Euro mehr an Budget bekommen. Das ist schon ein sehr großer Erfolg. Aber das Thema Sexismus, das durch den Prozess so groß geworden ist, erreicht natürlich viel mehr Menschen als Wissenschaftspolitik.  

Sigird Maurer saß von 2013 bis 2017 für die Grünen im Nationalrat
Sigird Maurer saß von 2013 bis 2017 für die Grünen im Nationalrat © Kleine Zeitung, Bernd Hecke

Justizminister Josef Moser hat zwar eine Lücke im Gesetz einbekannt, spricht sich aber gegen eine Anlassgesetzgebung aus. Wie geht es Ihnen damit?
Wenn ein Hundebiss für Aufsehen sorgt, gibt es sofort ein Anlassgesetz. Aber tatsächlich bin ich auch nicht für einen Schnellschuss. Man muss das jetzt gut diskutieren und innerhalb eines halben Jahres eine Lösung finden. Das erwarte ich mir schon!

Müssen wir das Strafrecht verschärfen?
Das muss man in Ruhe diskutieren. Mir ist wichtig, dass sich Frauen gegen solche verbalen Übergriffe rechtlich rasch und kostenlos wehren können. Derzeit kann man in solchen Fällen nur über Zivilprozesse agieren, die teuer sind und wenig Aussicht auf Erfolg haben.

Es gibt ja strafrechtliche Möglichkeiten. Wiederholen sich solche Nachrichten, ist das der Tatbestand des Stalkings ...
Ja, aber ich kenne Fälle, da sind Frauen zur Polizei gegangen. Alles, was sie gehört haben ist: „Das müssen Sie noch zwei Monate lang aushalten.“ Bei Stalking zählt die Beharrlichkeit. Aber das ist Frauen so doch nicht zuzumuten.

Warum schlagen wir uns nach Jahrzehnten der Gleichberechtigungs-Debatten noch mit solchen Themen herum?
Weil wir eben immer noch im Patriarchat leben. Das gilt es aufzubrechen. Was bedeutet, dass Männer ihre Privilegien verlieren, wie etwa - zynisch gesagt - Frauen anzupöbeln, oder übergriffig zu sein, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Manche Männer bekämpfen hier Machtverschiebung und Machtverlust. Sexismus ist eine der Strategien, um an der Macht zu bleiben.

Haben sich diese obszönen Nachrichten in letzter Zeit gehäuft?
Nein, eigentlich bekomme ich sexistische Nachrichten, seit ich in der Politik bin, etwa schon als ÖH-Vorsitzende. Damals gab es aber mehr Alltagssexismus wie „zurück an den Herd“ und weniger Gewaltandrohung. Das hat sich seit Köln massiv geändert. Seither heißt es oft: „20 Afghanen sollen dich vergewaltigen.“

Sie haben im Prozessverlauf geschildert, dass vor dem Bierlokal Männer stehen und Frauen anpöbeln, ihnen nachrufen. Warum wechseln Sie nicht die Straßenseite, wie es Ihnen in der Verhandlung nahe gelegt worden ist?
Die Stadt gehört uns allen. Ich sehe nicht ein, warum ich mein Verhalten ändern sollte, weil Männer pöbeln. Ein Uni-Professor in den USA hat ein spannendes Experiment gewagt: Er hat die Studierenden befragt, welche Strategien sie verfolgen, um Belästigungen zu entgehen. Die Männer wussten gar nicht, wovon die Rede ist. Die Frauen haben ganze Listen erstellt: Vom Schlüssel, den sie als Waffe in der Hand halten, über das Türezusperren bis dahin, dass sie nicht alleine nach Hause gehen. Das sagt doch alles!

#metoo jährt sich zum ersten Mal. Hat sich etwas verändert, nachdem Frauen begonnen haben, offen über Übergriffe und Vergewaltigungen zu reden?
Ja, die Schweigespirale ist durchbrochen. Viele Frauen haben sich gescheut, Übergriffe anzuzeigen, weil sie alle Details schildern müssen, sie Angst davor haben, dass das öffentlich diskutiert wird oder ihnen keiner glaubt. Betroffenenschutz muss besonders ernst genommen werden und man muss sich rechtlich wehren können.

So mancher Mann fragt sich, wie weit das geht, ist verunsichert, ob er Frauen noch Avancen machen kann. Ist das eine berechtigte Sorge oder ein billiger Macho-Spruch, um alles beim Alten zu belassen?
Wer glaubt, ein sexistischer Untergriff ist eine Anmache, versteht nichts. Wir reden hier nicht von Sex, einer schönen Sache, die zwei Menschen einvernehmlich machen. Wir reden von sexualisierter Gewalt, die Frauen einschüchtern soll. Einer Machtdemonstration. Natürlich soll nicht jede billige Anmache rechtliche Konsequenzen haben.

Ihr einstiger Parteikollege Peter Pilz war mit Übergriffsvorwürfen konfrontiert, sitzt jetzt nach einer kurzen Pause aber wieder im Parlament.
Das ist ein Skandal. Pilz agiert wie der typische „alte weiße Mann“. Er hat null Reflexionsvermögen, zeigt keine Reue, hat Verschwörungstheorien gesponnen und hält sich für rehabilitiert. Dabei war der Alpbach-Fall einfach nur verjährt.

Was müssen Männer lernen?
Sie sollten lernen, wie sie damit umgehen, wenn sie Zeuge sexistischer Witze oder Übergriffe auf Frauen werden - etwa am Arbeitsplatz. Da geht es nicht darum, den beschützenden Helden zu spielen oder gleich zum Chef zu gehen, sondern zuerst ein vertrauensvolles Gespräch mit der Frau zu führen: zu vermitteln, dass man sie unterstützt und bereit ist, ihr zu helfen, wenn das gewünscht ist. Es wiegt viel, wenn Männer Unterstützung anbieten und als Zeugen für Frauen einstehen. Dass Belästiger aufhören müssen zu belästigen, versteht sich von selbst. 


Was sind reale Folgen sexualisierte Gewalt im Internet?
Dass Frauen sich hier zurückziehen, nicht mehr an öffentlichen Debatten in sozialen Medien teilnehmen. Oder warum glauben Sie, ist kaum noch eine TV-Nachrichtenmoderatorin auf Facebook?

Was sollen andere betroffene Frauen unternehmen?
Auf jeden Fall sofort Screenshots machen, Gedächtnisprotokolle anlegen und alles aufzeichnen. Das vergisst man im ersten Schock leicht. Hat man alles dokumentiert, nimmt man sich die Zeit, zu überlegen, wie es weitergeht. Es gibt etwa Beratungsstellen wie ZARA, wo man sich Hilfe holen kann.

Sie bekommen seit Jahren solche Nachrichten. Hatten Sie nie Angst?
Nein, denn das waren anonyme Accounts oder bei Klarnamen Menschen, die weit weg wohnen. Aber ich bin insgesamt in einer privilegierten Situation, politisch aktiv, gut vernetzt und kann mir eine gute Anwältin leisten. Ich werde das Urteil der üblen Nachrede durch alle Instanzen bekämpfen - wenn es sein muss, bis Straßburg. Und ja, ich kämpfe hier für alle Frauen.