Sie traten am 21. Juni zum ersten Mal in Kecskemet in Ungarn vor Gericht - grinsend kamen die Angeklagten mit Hand- und Fußfesseln in den Verhandlungssaal, obwohl ihnen mehrfacher Mord vorgeworfen wird. Die Öffentlichkeit und Presse wartete mit Spannung auf die Prozesseröffnung rund um den Tod von 71 Flüchtlingen, deren Leichen im August 2015 bei Parndorf gefunden wurden. Am 22. Jänner 2018 wird der Prozess fortgesetzt.

Richter Janos Jadi eröffnete vor vier Monaten den Prozess gegen elf Mitglieder der Schlepperbande, die für den grausamen Erstickungstod der Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, dem Iran und dem Irak in dem Kühl-Laster Schuld tragen soll. Unter den Opfern waren auch vier Kinder. In der Zwischenzeit hat sich die Zahl der Angeklagten aber auf 14 erhöht.

Auf der Flucht

Gegen die drei neuen Angeklagten war zunächst separat ermittelt worden, ehe das Verfahren in den A4-Prozess eingegliedert wurde. Drei der 14 Beschuldigten befinden sich noch auf der Flucht. Unter ihnen ist auch ein 26-jähriger Afghane, der nach jüngsten Erkenntnissen als Drahtzieher gilt und ganz oben in der Hierarchie gestanden sein soll. Der junge Mann soll einem Landsmann, der im Prozess als Hauptangeklagter geführt wird, Befehle erteilt haben. Der 26-Jährige war bereits einmal in Polizeihaft, wurde aber wieder freigelassen. Nun ist er auf der Flucht.

Kaltblütig in den Tod geschickt

Auf den vordersten Reihen der Anklagebänke nahmen beim Prozess nun die mutmaßlichen Bandenchefs Platz. Kaltblütig sollen sie die Flüchtlinge in den Tod geschickt haben, wie in der Anklage zu lesen ist. Hinter ihnen sitzen ihre Mittäter, die bei den Verhandlungen hauptsächlich mit gesenktem Haupt auf den Boden starrten. Es sind Männer aus Bulgarien, meist ohne Schulabschluss, die aus Geldgier, aber auch wegen Schulden bei etablierten Schleppern Schmuggelfahrten mit Flüchtlingen durchführten. Viele beteuerten erpresst worden zu sein - wohl auch, um die eigene Haut zu retten.

"Wie Vieh transportiert"

Im Gegensatz zu anderen Angeklagten und deren gegenseitigen Schuldzuweisung sitzt der 30-jährige Hauptangeklagte, ein kleiner schmächtiger Mann, auf seinem Platz und schweigt. Er redete sich nur einmal in Rage, als er sich über den Paschtun-Dolmetscher beschwerte, eine Frau. Er erhielt einen neuen, männlichen Übersetzer. Von Zeugen wurde der "kleine Afghane" massiv belastet. Er sei brutal gewesen, habe Angst geschürt. "Sie haben uns wie Vieh transportiert", so ein Iraker in seiner Zeugenaussage, der seinen Transport überlebte. Der Mann erzählte von unmenschlichen Bedingungen für die Flüchtlinge. Es habe keine Luft gegeben, nur erdrückende Enge. Die Flüchtlinge hätten in ihrer Not gehämmert, doch niemand habe reagiert.

Verwesungsgeruch

Den Todeslaster mit den 71 Leichen, der nahe der ungarischen Südgrenze bei Morahalom weggefahren war, hatten die Schlepper am 27. August 2015 in einer Pannenbucht an der Ostautobahn (A4) bei Parndorf im Burgenland zurückgelassen. Dort wurde das Fahrzeug von österreichischen Polizisten entdeckt. Als sie die Ladefläche öffneten, fanden sie die zusammengepferchten, toten Flüchtlinge. "Der Wind blies uns Verwesungsgeruch entgegen", hatten die Beamten ausgesagt. Der Chauffeur war mit dem Lenker des Begleitfahrzeuges längst geflüchtet.

"Boss wurde zu gierig"

Im Zuge der Ermittlungen wurde die Bande, vor allem Bulgaren und deren afghanischer Boss, festgenommen. Staatsanwalt Gabor Schmidt beantragte bei den vier Haupttätern wegen u.a. qualifizierten Mordes und Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung lebenslanges Zuchthaus. Neben dem 30-jährigen afghanischen Bandenboss handelt es sich dabei um seinen 30-jährigen Stellvertreter, dem 26-jährigen Fahrer des Kühl-Lkws und einem 39-jährigen Begleiter - allesamt aus Bulgarien. Laut Anklage soll die Bande mehr als 1.200 Flüchtlinge, die vor allem über die Balkan-Route kamen, illegal nach Westeuropa, vor allem nach Österreich und Deutschland, geschleppt haben. Der Hauptangeklagte habe dabei mehr als 300.000 Euro verdient. "Der Boss wurde zu gierig, deswegen sitzen wir hier", warf ihm ein Komplize vor.

Grausam erstickt

Bei der Todesfahrt wurden die Menschen auf eine nur 14 Quadratmeter große Ladefläche gepfercht. Es gab keine Lüftung, kein Fenster, keine Innenbeleuchtung, keine Sitzgelegenheiten und Haltegriffe. Die Tür des Frachtraumes konnte nur von außen geöffnet werden. Die Insassen im Laderaum sollen laut Gerichtsmedizin binnen drei Stunden - noch auf ungarischem Gebiet - grausam erstickt sein. Aus dem Grunde wurde das Strafverfahren von den österreichischen an die ungarischen Behörden abgetreten.

Schreie und Hämmern

Die Bandenmitglieder wollen die Verantwortung für den Erstickungstod der Flüchtlinge nicht übernehmen, immer wieder gab es in den Verhandlungen gegenseitige Schuldzuweisungen. Der Chauffeur des Kühl-Lkw will den Bandenchef nach eigener Aussage über Schreie, Hämmern der Insassen im Laderaum informiert haben. Der hätte jedoch die Weiterfahrt befohlen und angewiesen: Falls die Migranten sterben, sollte er sie in einem Wald in Deutschland "abladen", hieß es laut Abhörprotokoll der ungarischen Behörden.

Schläge und Tritte

Bei ihren Schleppungen verwendete die Bande zumeist Lieferwagen, die für den Personentransport völlig ungeeignet waren, "geschlossen, dunkel und sauerstofflos", so beschrieb es die Staatsanwaltschaft. Zeugen beklagten:" Sie haben uns wie Vieh transportiert." Ein geschleppter Iraker sprach von totalem Horror: "Wir wollten zunächst nicht in den Lastwagen einsteigen, wurden dann aber mit Schlägen und Tritten gezwungen."

Die Käufe der Transportfahrzeuge verliefen oft mit ungarischer Hilfe. Die damalige Lebensgefährtin des Banden-Vize sagte aus, sie habe drei Fahrzeuge für den Bulgaren anschaffen müssen. Bezahlt hätte sie diese mit dem Geld, das sie als Prostituierte in Wien verdiente.

Am Anfang schleppte die Bande 20 bis 40 Migranten pro Auto. Doch angesichts der guten Geschäfte und des Drucks der Hintermänner wurden immer öfter Fahrzeuge mit mehr Fassungsvermögen beschafft. Am Ende waren es rund 100 Flüchtlinge, die mit nur einem Transport nach Westeuropa gebracht wurden. Begleitet wurden die Schleppungen von sogenannten Vorläuferwagen, die die Route auskundschafteten.

"Gott ist schuld"

Der grausame Erstickungstod, die Qualen der Opfer schienen keineswegs alle Angeklagten im Verhandlungssaal zu berühren. Laut Zeugenaussage eines Bruders eines erstickten Flüchtlings habe der kontaktierte Schlepper nach der Tragödie lediglich erklärt: "Wenn Leute unterwegs sterben, ist Gott daran schuld, nicht ich."

Obwohl die Schleppung am 26. August 2015 dramatisch endete, organisierte die Bande nur einen Tag später skrupellos eine weitere Fahrt mit Migranten in einem ähnlichen Kleinlaster. Diesmal waren 67 Flüchtlinge ohne die nötige Luftzufuhr eingepfercht. Nur durch viel Glück überlebten sie die Fahrt, weil sie die Tür des Laderaums mit Füssen aufstoßen konnten.

Laut psychologischem Gutachten waren die vier Hauptangeklagten zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig, würden keine Anzeichen einer Geisteskrankheit aufweisen. Auch keine organischen Veränderungen, die zu vorübergehenden Bewusstseinsstörungen führen könnten, so dass alle Angeklagten die Folgen ihrer Taten durchaus ermessen könnten.

Am 22. Jänner wird der Prozess fortgesetzt. Da soll die Angeklagten zu Wort kommen.