2005 begannen die Archäologen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ein neues Grabungsprojekt am Wachtberg. Sie wussten aus Bohrungen von einer altsteinzeitlichen, nur rund zehn Zentimeter starken Kulturschicht in fünf Metern Tiefe und stießen unter den mächtigen Löss-Schichten schon nach wenigen Monaten auf die weltweit einzigartige Grabstätte.

"Einzigartig deshalb, weil man bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Skelette von Kleinkindern bis drei Jahren aus der Zeit des frühen Homo sapiens gehabt hat. Zudem waren es die ersten Skelette aus der Altsteinzeit, die man in Österreich gefunden hat", sagte Christine Neugebauer-Maresch vom Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der ÖAW, die 2006 über den Fund im Fachjournal "Nature" berichtete. Das zunächst mit konventioneller Radiokarbonmethode ermittelte Alter des Fundes von 27.000 Jahren wurde mittlerweile auf 32.000 Jahre korrigiert.

Die zwei Säuglinge, in etwa gleich groß und möglicherweise zur gleichen Zeit gestorben, wurden am Rand eines Lagerplatzes in einer Mulde bestattet und in Rötel - einem roten Farbstoff - gebettet. Dies entsprach dem aus Erwachsenen-Gräbern bekannten Bestattungs-Ritus der damaligen Zeit. Die Körper wurden mit einem Mammut-Schulterblatt abgedeckt. "Das hat den Erddruck und teilweise auch die Feuchtigkeit abgehalten, was den hervorragenden Erhaltungszustand des Fundes erklärt", so die Archäologin.

Dennoch war eine unbeschadete Bergung des fragilen Funds nicht möglich. Die Wissenschafter entschieden sich daher, die Skelette samt den umgebenden Erdschichten als Block zu bergen. So gelangte der Fund zu den Anthropologen des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien.

Zunächst wurde der Fund konserviert und in einer Klimakammer langsam ausgetrocknet. Für weitere Analysen wurden bereits Objekte wie Teile einer Perlenkette entnommen, die den verstorbenen Kindern mit ins Grab gegeben wurde. Viele Informationen erhofften sich die Wissenschafter von einer Computertomographie-Untersuchung, "doch wir mussten feststellen, dass die Qualität der Bilder nicht ausreichte", sagte Maria Teschler-Nicola, Leiterin der Anthropologie-Abteilung im NHM, gegenüber der APA.

Grund war der hohe Kalkgehalt des Lösses, der keine detailreichen Abbildungen der winzigen Knochen erlaubte. Eine Untersuchung in einem Mikro-CT mit sehr hoher Auflösung scheiterte an der Größe des Erdblocks.

"Wir haben lange in der Hoffnung zugewartet, dass sich die technischen Möglichkeiten verbessern und uns nun gemeinsam mit den Kollegen der ÖAW zu dieser Ausgrabung entschlossen", so Teschler-Nicola. Bei der nun startenden Arbeit wollen die Wissenschafter immer tiefer in den Erdblock gehen und dabei Stück für Stück, Knochen für Knochen entnehmen.

"Es tut schon ein bisschen weh, den Fund damit zu zerstören", sagte Teschler-Nicola. Aber jeder Schritt der Ausgrabung wird von einem speziellen Scanner dokumentiert, Lage und Form jedes Knöchelchens, Einzelheiten der Rötelfärbung sowie Beigaben wie die Elfenbein-Kette werden so festgehalten. Die Ausgrabung wird damit erstmals Zugang zur bisher unbekannten Unterseite der Skelette und zur Grabsohle ermöglichen.

Von jedem Knochen wollen die Forscher Mikro-CT-Aufnahmen und daraus dreidimensionale Rekonstruktionen anfertigen. In Verbindung mit den Daten des Oberflächen-Scans soll so eine vollständige 3D-Rekonstruktion des Funds entstehen.

Auch wenn alleine die Bestattung klar gemacht hat, dass bereits eine altsteinzeitliche Jäger- und Sammlergesellschaft verstorbenen Säuglingen besondere rituelle Wertschätzung entgegen gebracht hat, sind noch viele Fragen offen. Die Forscher wollen etwa wissen, ob die beiden Kinder unterschiedlich gebettet wurden, wie sich die Rötelstreuung unter den Körpern fortsetzt - also Informationen, die über den Ablauf der Bestattung Auskunft geben.

Die Wissenschafter warten aber auch gespannt auf Details zu den Kindern selbst: "Welches Geschlecht hatten sie, sind sie gleichzeitig gestorben, lassen sich pathologische Befunde erkennen oder sogar die Todesursache feststellen, wie alt waren sie zum Zeitpunkt des Todes und waren es wirklich Zwillinge?", so Teschler-Nicola.

Die Rekonstruktion der Knochen könnte auch Auskunft über die Frage geben, ob sich möglicherweise vorhandenes Erbe der Neandertaler auch morphologisch zeigt. Schließlich befinde man sich vor 32.000 Jahren in der Übergangsperiode zwischen Neandertalern und frühen Homo sapiens. Falls sich mögliche Neandertaler-Vorfahren nicht an äußeren Details erkennen lassen, könnten sie aber ihre Spuren in der Erbsubstanz der Kinder hinterlassen haben.

Proben wurden jedenfalls bereits entnommen "und wir wissen, dass DNA in ausreichender Qualität vorhanden ist", sagte die Anthropologin. Ergebnisse dieser Analysen sollen bis Ende des Jahres vorliegen.

Am Wachtberg selbst haben die Wissenschafter erst heuer ihre Grabungen abgeschlossen. Bereits 2006 stießen sie in unmittelbarer Nähe zur Doppelbestattung auf ein weiteres, allerdings nicht so gut erhaltenes Säuglingsgrab. Neben diesen beiden Gräbern geben zahlreiche Holz-, Stein- und Tierknochenfunde Hinweise auf die Lebensumstände in die Kultur der eiszeitlichen Jäger und Sammler.

Eine Kopie der Doppelbestattung ist übrigens in der Dauerausstellung für Anthropologie des NHM zu sehen. Die besten Fundstücke dieses Lagerplatzes werden im Urgeschichtemuseum MAMUZ in Asparn an der Zaya (NÖ) gezeigt, ebenso wie eine Rekonstruktion der Säuglings-Doppelbestattung.