Fünf Kilometer weit sind wir miteinander um den Ring gezogen, dann waren alle Parolen gerufen. Manche Leserin, manchen Leser empörte anderntags, die im Text zitierte Zahl von 38.000 geschätzten Teilnehmern sei viel zu niedrig, was gewiss die Folge von Zahlungen der Regierung an uns Journalisten sein müsse. Dabei war die Quelle klar im Text gestanden: Die Schätzung stammte von der Polizei. Die war während der gesamten Veranstaltung im Hubschrauber über der Szene gekreist, hatte also, anders als die Menschen in der Marschkolonne, den Überblick. Würden Sie sich zutrauen, mitten in einer Menschenenge marschierend deren Größe einzuschätzen? Ich mir nicht.

Was mich mehr beschäftigt als der Ärger über schlecht begründete Schmähungen: Was meinten die Marschierenden eigentlich mit „Freiheit“, dem großen Wort, das am häufigsten zu hören war am letzten Samstag? „Friede, Freiheit, keine Diktatur“, skandierten viele Gruppen, weil die Regierung am Vortag einen vierten Lockdown beschlossen und eine Impfpflicht in den Raum gestellt hatte.

Das mit der Diktatur war das Echo der Diagnose von FPÖ-Chef Herbert Kickl. Seine Abgeordnete Dagmar Belakowitsch legte gestern im Report noch einmal nach. Der Vorwurf, Österreich sei ab sofort eine Corona-Diktatur scheint ihr „nicht überzogen“. Wörtlich sagte sie in die Kamera: „Auch in der DDR hat es Zwangsmaßnahmen gegeben für systemkritische Menschen. Man hat geglaubt, dass man sie medikamentös auf Linie bringen kann.“

Man schwankt zwischen Trauer und Wut. Frau Belakowitsch ist keine Jungparlamentarierin mehr, sie hätte die DDR kennenlernen können, wenigstens etwas darüber lesen. Sann wäre sie auf diese Analogie nicht gekommen. Denn was bitte hat der Missbrauch der Psychiatrie zur Bekämpfung politisch missliebiger Menschen mit der Impfung gegen eine Pandemie zu tun? Gegen eine Impfpflicht lassen sich Argumente finden, von der Frage nach der Umsetzbarkeit bis zu der nach den Erfolgsaussichten einer solchen Maßnahme. Das Argument von Frau Belakowitsch aber gehört nicht dazu. Es ist ist frivol und haarsträubend.

Den schönsten Satz hat gestern übrigens unfreiwillig Bildungsminister Heinz Faßmann ins Report-Studio mitgebracht. „Die Krise könnte zumindest stabilisiert sein“, hat er gesagt und gelächelt. Offenbar glaubte er, etwas Feines formuliert zu haben. Aber wer will schon eine „stabile Krise“, fragt sich