Wir sind es gewöhnt, Politik als Ereignisgeschichte zu deuten. Im Fall von Italien wäre es aber angebrachter, von einer Geschichte der verpassten Gelegenheiten zu sprechen. Vom Risorgimento, das im Süden bis zum heutigen Tag nur als Fortsetzung kolonialer Fremdbestimmung empfunden wird, über die Implosion des korrupten politischen Systems Anfang der Neunzigerjahre bis zu Matteo Renzis gescheiterter Wahlrechtsreform reicht die Liste der schweren staatspolitischen Versäumnisse. Sie machen, dass das Land sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch immer im Würgegriff eines verknöcherten Machtapparats befindet, ohne dass es je eine Corporate Identity entwickelt hätte.