Mit wunderbaren Landschaften ist Österreich reich gesegnet - wäre da nicht die unerträgliche Verhüttelung, die es mit sich bringt, dass in lieblichen Regionen Wohn- und andere Häuser hingestellt werden, die jedes Hässlichkeitsranking anführen würden. Und wenn doch die Modernität Einzug hält, bedient man sich bisweilen kitschiger Kolonnaden oder anderer architektonischer Versatzstücke aus dem Fundus versunkener Epochen.

Der Zufall wollte es, dass ich vor ein paar Tagen am Rande eines Interview-Termins in Salzburg eine ehemalige Journalistenkollegin traf, die nun beim landeseigenen Energieversorger arbeitet. Im Zuge des Gesprächs kamen wir auf eine kleine Gemeinde an der salzburgisch-oberösterreichischen Grenze zu sprechen, die ein Geheimnis besitzt, das vor dem 24. Februar bei Armin Assinger als Millionenfrage eingestuft worden wäre, im kommenden Herbst, wenn Kandidatinnen und Kandidaten im Kölner Studio der Millionenshow wieder am heißen Stuhl Platz nehmen, maximal als 500 Euro-Frage taugt. Was schlummert unter der kleinen österreichischen Gemeinde Haidach?
a) das größte Goldvorkommen Europas
b) der größte unterirdische Vulkan des Kontinents
c) die größten Dinosaurier-Skelette außerhalb der USA  
d) der größte unterirdische Gasspeicher Mitteleuropas.

Also begab ich mich am nächsten Tag nach Haidach. Wahrscheinlich war ich so ins Gespräch mit Salzburg-AG-Chef Leonhard Schitter über den Ernst der Lage am Gasmarkt, Lieferprobleme, apokalyptische und realistische Szenarien für den kommenden Winter vertieft, dass ich die Fahrt durch den zwischen Seen eingebetteten Tennegau (im E-Auto natürlich) als irdische Apotheose einer kaum verhüttelten Landschaft wahrgenommen habe. Mit grünsaftigen Weiden - der Salzburger Schnürlregen trotzt sogar der Erderwärmung, Ortschaften, die nicht in alle Himmelsrichtungen ausfransen, prachtvollen Bauernhäusern, die dank rigider Bauordnung und strengem Landschaftsschutz nicht verunstaltet worden sind. Oder sah ich die Region durch die falsche Brille? Disneyland auf österreichisch? 

Hinter einer Kurve ragten gewaltige Metallrohre aus der Erde. Die Einfahrt war streng bewacht, wohl auch deshalb, weil sich der bayrische Wirtschaftsminister angesagt hatte. Nicht zu übersehen beim Eingang das Gazprom-Logo. Daraus zu folgern, drinnen im Empfangsbereich würden Putin-Bilder hängen, dürfe man das Wort Krieg gar nicht in den Mund nehmen, wäre eine Verkennung der Gemengelage. Der unterirdische Speicher ist gerade den Russen abgeknöpft worden, weil der Kreml seit Monaten dort nichts mehr eingespeichert hat. Alle großen deutschen Medien waren in Haidach versammelt, erst nach dem Rundgang durch das Areal bei der abschließenden Pressekonferenz wurde mir der Ernst der Lage klar. „Ja, ich kann jetzt wieder etwas ruhiger schlafen“, erklärte Aiwanger im breitesten Bayrisch. 

Was war geschehen? Was hatte die Bayern um den Schlaf gebracht? Haidach ist ein Sinnbild für die über Grenzen gelebte, europäische Zusammenarbeit. Der Speicher liegt auf österreichischem Gebiet, war aber bisher nicht ans österreichische Netz angeschlossen. Für Bayern ist der Speicher von strategischer Bedeutung, halb Bayern wird von dort aus versorgt. Im Zuge der Gaskrise entdeckten der Kanzler und die Energieministerin den Speicher - und verkündeten, dass man ihn auch an das österreichische Netz anschließen werde. „Wir hatten schon die Sorge, dass die Österreicher Haidach anzapfen und wir durch die Finger schauen“, meinte der Minister. Der Besuch des deutschen Vizekanzlers Robert Habeck vor einem Monat in Wien war, wie sich jetzt herausgestellt hat, vor allem Haidach gewidmet.

Aiwanger wurde versichert, dass Österreich gar nicht die Bayern technisch austricksen könne, weil der Schieber auf deutschem Boden liege. Noch dazu habe man vertraglich vereinbart, dass Deutschland 60 Prozent, Österreich 40 Prozent entnehmen könne. „Wenn der Speicher voll ist, komme ich mit einer Flasche Schampus vorbei“, witzelte Aiwanger, sprang ins Auto und setzte seinen Urlaub, den er für den Lokalaugenschein unterbrochen hatte, wieder fort. Die bayrisch-österreichische Krise konnte rechtzeitig entschärft werden. 

Einen krisenfreien Dienstag

wünscht