Die ORF-Sommergespräche wurden vor mehr als 40 Jahren als mediales Hochamt konzipiert, um das traditionelle Sommerloch im August zu füllen. Doch im Zeitalter einer liberalisierten Fernsehlandschaft und einer mediatisierten Gesellschaft, die rund um die Uhr mit Infotainment gefüttert wird, ist diese Einzigartigkeit Geschichte, auch der Nachrichtenfluss nimmt nicht mehr Rücksicht auf die Jahreszeiten. Mitunter sind schon Parteichefs im August zurückgetreten, die Flüchtlingskrise 2015 erreichte gegen Ende der Hauptferienzeit ihren Höhepunkt, und auch Putin schert sich nicht um Urlaubspläne von Politikern und Journalisten.

Auch diesmal machten die Neos bei den Sommergesprächen als kleinste Parlamentspartei den Anfang. Beate Meinl-Reisinger, die die Neos 2018 übernahm, überzeugte durch Routine, für sie war es bereits die fünfte Fragerunde. Die Anfangsfrage zielte darauf ab, was sie am nächsten Tag nicht in der Zeitung lesen wolle: „Die Frisur, und was ich angehabt habe.“ Über die Terrasse des ORF-Zentrums fegte allerdings ein so scharfer Wind, dass gleich zu Beginn ein Taferl mit einer Karikatur über die pinken Regierungsambitionen umfiel und ihre Haare durcheinander gerieten. Sorry für die Notiz, Frau Meinl-Reisinger.

Dass die Neos nach zehn Jahren von einer Regierungsbeteiligung träumen, liegt auf der Hand. Realisierbar ist das aus heutiger Sicht nur in einer Dreierkoalition, am ehesten in einer Ampel: Doch wie realistisch ist das Szenario?

Türkis-Grünmag meilenweit von einer Mehrheit in den Umfragen entfernt sein, Meinungsforschungsinstitute sehen die Koalition bei katastrophalen 30 Prozent. Im Nationalrat haben Volkspartei und Grüne allerdings immer noch eine Mehrheit. Ohne Neuwahlen ist eine Ampel jedenfalls nicht realisierbar, ein fliegender Wechsel deshalb unmöglich. 

Und das ist die eigentliche Hürde: Um Neuwahlen vom Zaun zu brechen, bedarf es einer Mehrheit im Parlament, weder ÖVP noch die Grünen haben derzeit ein Interesse daran. Die Volkspartei schon gar nicht, denn ihr drohen nach Wahlen der Gang in die Opposition oder die Rolle des Juniorpartners. Es mag schon sein, dass ein Wahlkampf eine andere Dynamik entwickelt, das Risiko ist allerdings zu groß. Warum also die Notbremse ziehen? Selbst wenn der Urnengang am 25. September in Tirol mit einem Desaster endet?

Eine Ampel hat aus grüner Sicht durchaus Charme, vor allem die grüne Basis träumt von einer ÖVP-freien Koalition. In grünen Regierungskreisen – und dazu zählen nicht nur die vier Regierungsmitglieder, die Klubobfrau und die Staatssekretärin, sondern wahrscheinlich 40 bis 60, wenn nicht sogar mehr Mitarbeiter in Kabinetten oder politischen Büros – ist der Wunsch nach Neuwahlen enden wollend. SPÖ-Chefin Rendi-Wagner träumt selbst von der Ampel, doch besteht keine Garantie, dass auf Druck der Wiener SPÖ, allenfalls der Gewerkschaft, nach Neuwahlen Österreich nicht wieder mit einer großen Koalition aufwacht. Die Grünen wären wieder in Opposition. Wozu das Risiko eingehen, den Job riskieren, wenn man es jetzt ohnehin mit einer geschwächten ÖVP zu tun hat, der man vieles abtrotzen kann – im Sinn einer grünen Handschrift? 

Zwar sind Dreier-, Vierer-, Fünfer-Koalitionen in Europa an der Tagesordnung, zu zweit (mit der ÖVP) zu regieren ist aus grüner Sicht doch ungleich einfacher als zu dritt. Das Argument, eine Ampel sei wegen der ideologischen Heterogenität zwischen SPÖ und Grünen einerseits und den Neos andererseits schwierig zu realisieren, ist aus meiner Sicht Unsinn. Größer kann die ideologische Kluft nicht sein als zwischen ÖVP und Grüne.

Die einzige Konstante in der Innenpolitikist derzeit der Jo-Jo-Effekt. Rendi-Wagner stand nach dem Wahldebakel 2019 vor dem Aus, nun liegt sie bei 30 Prozent und wird als nächste Kanzlerin gehypt. Die ÖVP ist innerhalb weniger Monate in den Keller gerasselt, bei der FPÖ ist alles möglich. Und niemand weiß, ob Neuwahlen tatsächlich in eine Ampel-Mehrheit münden. Österreich hat traditionell eine rechte Mehrheit, auch könnte die MFG als Zünglein an der Waage alles vermasseln. 

Die Grünen haben 40 Jahre gebraucht, ehe sie im Bund in die Regierung eingezogen sind. Die Neos müssen sich wohl noch in Geduld üben. 

Einen schönen Tag, an dem Ihre Geduld nicht überstrapaziert wird, wünscht