Am Katschberg vor zirka zwei Jahren. Während die Schlagzeilen aus Wuhan langsam Doppelseiten füllen, genießt Ihre Morgenpostlerin die erste Februarsonne auf der Passhöhe zwischen Kärnten und dem Salzburger Lungau. Ein kurzer Einkehrschwung an der Freiluftbar endet dabei unvermittelt im Promi-Spotting: Der Innenminister, gerade einmal wenige Tage im Amt und schon mit der Idee grenznaher Asylzentren gescheitert, verweilt in kleiner Runde am benachbarten Stehtisch. Man spricht leise, ist diskret, wirkt entspannt. Niemand scheint Notiz zu nehmen – selbst dann nicht, als der türkise Politiker im petrolfarbigen Oberteil zum Abschied lupenreine Skischwünge in den Schnee zaubert.

Von der damaligen Gleichgültigkeit ist der nunmehrige Bundeskanzler wohl hunderte Tweets entfernt. Social Media empört sich über ein Foto, das Karl Nehammer in großer Stammtischrunde auf der Katschberger Gamskogelhütte zeigt. Aufgenommen am 29.12.2021, unter Corona-konformen Sicherheitsbedingungen, wie von allen Seiten versichert wird. Die aktuelle Infektion des Kanzlers sei anderwärtig geschehen, die Aufregung also gänzlich unbegründet.

Doch auch wenn dies der Fall sein sollte, hat der Regierungschef ein Glaubwürdigkeitsproblem, begründete er doch just am Tag nach dem plakativen Zusammentreffen seine Absage an das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker mit den Worten: „In einer pandemisch schwierigen Situation, die uns allen viel abverlangt, würde ich einen Besuch für das falsche Signal halten. Die bevorstehende Omikron-Welle erfordert strengere Maßnahmen für alle Menschen – ich möchte mich selbst davon nicht ausnehmen!“

Es scheint so, als müsse Karl Nehammer auf einem aperen Nebenhang nun einen argumentativen Slalom fahren. Unterdessen droht seine Regierung im Hauptrennen um die Impfpflicht gerade entscheidende Meter und Sekunden zu verlieren.

Schon bei der Pressekonferenz am Dreikönigstag fiel auf, dass Kanzler, Gesundheitsminister und Gecko-Chefs im Detail die verschärften Corona-Maßnahmen erörterten, jedoch nur allgemein die Notwendigkeit und Nützlichkeit der Impfung betonten. Erst auf Nachfrage erklärte man, die Impfpflicht sei „unabdingbar" und „fix“ ab 1. Februar.  

Die obersten Virusbekämpfer waren offenkundig bemüht, das Thema herunterzuspielen, beschworen dafür den Dialog und das Miteinander: Man wolle die Gegensätze in der Gesellschaft überwinden, indem man unablässig versuche, die Impfskeptiker aufzuklären und ihnen die Ängste zu nehmen.

Tags darauf Jubelstürme bei eben diesen: Die Elga GmbH erklärt, vor dem Begutachtungsentwurf nicht in Gespräche eingebunden gewesen zu sein und die Ausnahmen von der Impfpflicht nicht vor dem 1. April technisch erfassen zu können. Dies habe man dem Gesundheitsministerium am 22. Dezember auch mitgeteilt.

Der gesamte Zeitplan ab 1. Februar gerät also ins Wanken. Und viele Fragen stehen im Raum: Schon am 19. November wurde die Impfpflicht von den Landeshauptleuten und Spitzen der Bundesregierung beschlossen – wieso kommt man erst jetzt, wenige Tage vor der Debatte und der Gesetzwerdung im Nationalrat zur Erkenntnis, dass die Umsetzung nicht vollumfänglich klappt? Weshalb ist das dem Elga-Chef erst am Vorabend vor Weihnachten aufgefallen? Und warum hat Wolfgang Mückstein die Datenerfasser nicht von Anfang an eingebunden? Sollte er das heikle Thema Impfpflicht tatsächlich so fahrlässig angegangen sein, würde ihn das als verantwortlichen Minister klar disqualifizieren.

Die Lage ist nicht nur wegen der Bedrohung durch Omikron ernst: Einmal mehr steht die Glaubwürdigkeit dieser Koalition auf dem Spiel, die Gefahr läuft, wieder wortbrüchig zu werden. Sie könnte auch noch das verbliebene Vertrauen jener verlieren, die sich bis dato an die Corona-Vorgaben gehalten haben. Vor zwei Monaten wurde in der dramatischen Nacht am Achensee die Impfpflicht als „ultima ratio“ abgekündigt - jetzt kann die Regierung keinen Rückzieher mehr machen. Auch keinen halbherzigen, indem Umsetzung oder Sanktionierung weiter hinausgeschoben werden.