Wenn die Erinnerung nicht trügt, haben wir als Schüler schon früh am Vormittag frei bekommen. Viele Schulklassen im Land wurden gleich nach der ersten Stunde heimgeschickt, weil die Kinder für einen verkürzten regulären Unterricht zu aufgeregt gewesen seien. Der Fieberschub erfasste alle, voran die Erwachsenen. Auf den Schaufenstern der Geschäfte klebten Zettel mit der Aufschrift: „Vorübergehend geschlossen. Sind Klammer schauen“. Es waren die Endmoränen der Nachkriegsära und doch schon der Beginn von etwas Neuem. Noch war der Identitätsaufbau nicht zur Gänze abgeschlossen, noch mussten mythisch überhöhte Heldenfiguren ihn stützen, noch brauchte die Identität Tage wie diesen. Es war der 5. Februar 1976, ein werktägiger Donnerstag, olympischer Herrenabfahrtslauf auf dem Patscherkofel bei Innsbruck, ein Tag mit Girlanden in den überfüllten Gasthäusern, übergroßen Erwartungen und wenig Schnee. Er musste aus Südtirol herbeigeschafft werden.

Der detailstarke Film „Klammer -chasing the line“ erinnert daran. Gestern abend wurde er im größten Kino in Villach, nicht weit weg von Mooswald, dem Heimatort des Helden, dessen Nachruhm als Perpetuum noch immer funktioniert, erstaufgeführt. Die Premiere geriet zum nostalgietrunkenen Klassentreffen: Alle kamen, von Gustav Thöni bis zu Jimmy Steiner, den damals 17-Jährigen. Im Mittelpunkt des Medieninteresses: Franz Klammer und sein Vis-a-Vis, heute auf den Golfplätzen, damals auf der Piste, der smarte Bernhard Russi, der ganz in Schwarz erschien und locker als CEO eines New Yorker Architekturbüros durchgegangen wäre. Auch Jan Ullrich und Boris Becker, die Branchenfremden, wurden aufgeboten, warum, erschloss sich nicht sofort, aber das Spektakel diente eben nicht nur der Mythenbelebung, sondern auch handfesten Erwartungen. Moderiert wurde der Abend vom Geschäftsführer des Kärnten-Tourismus, er sprang ein, weil sich Servus TV, der Haupftfinancier, und der ORF als Partner auf keinen Präsentator einigen konnten: Kulissengeflüster. Nicht alles, das groß angetragen war an diesem Nationalfeiertagsevent, war auch groß. Das eine oder andere blieb auf nicht unsympathische Weise sehr österreichisch.

Die 5,7 Millionen teure Produktion (Epo-Film) ist ein Stück gute Unterhaltung. Filmisch gelingt sie, weil sie mit einem klugen dramaturgischen Kniff operiert: der Eingrenzung auf die Tage vor dem Rennen. Es spricht für den Film, dass er nicht einfach nur ein weiteres Muster dem ohnehin sehr opulent gewobenen Heldenteppich hinzufügt, sondern über die Hommage an den Kärntner Popularitätstitanen hinaus auch eine hinreißende Hommage an die analogen Siebziger ist, an ihre Unbekümmertheit, ihre schrillen Farben und den unvergessenen Sound.

Nicht zufällig schiebt die 22-jährige Hauptfigur (Julian Waldner in einer Talentprobe) „Hey, tonight“ von Creedance Clearwater Revival in den Autokassettenrekorder, als der Hoffnungsträger im gelben BMW vom elterlichen Bergdorf nach Innsbruck aufbricht. Dieses Lebensgefühl von damals fängt das Biopic, das keines sein will, mit feinem Gespür für das Detail gekonnt ein. Die vielen Anklänge und Einzelheiten, seien es die Sinalco-Flaschen, die Olivetti-Schreibmaschinen der Reporter oder die Telefunken-Fernsehantenne, die vor dem Beginn des Rennens drehend justiert wurde, bis das Bild scharf war, sind es, die den Film zu einem sehenswerten Zeitporträt machen. Der Lauf selbst ist auserzählt. Die Siegerzeit ist Bildungsgut wie die Punischen Kriege.

Zum Zeitkolorit gehören auch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Dominanz des Patriarchalischen. Ehemänner entschieden darüber, ob die Frau arbeiten gehen durfte. Der Schizirkus bildete keine Ausnahme, er war ein Hort herrischer, autoritärer Strukturen und schwarzer Pädagogik. Der Film, im Lockdown gedreht, spart sie nicht aus. Der Konflikt mit dem despotischen, allzu grell überzeichneten Fischer-Fabrikanten, der dem Idol aus Marketing-Gründen in erpresserischer Manier den neuen Loch-Schi aufs Aug drücken wollte, bildet einen zentralen Erzählstrang des Sportdramas.