Eine befreundete Malerin saß mit drei anderen Künstlern im Taxi. Sie waren gerade aus Venedig zurückgekommen. Biennale. Es war anstrengend gewesen. Die drei Künstler schliefen auf dem Rücksitz, die Malerin saß neben dem redseligen Taxifahrer. Er fragte sie, was sie beruflich mache. Sie sagte, sie sei Künstlerin. „Aha“, sagte der Taxifahrer. „Ich habe vor ein paar Tagen den besten Künstler Österreichs gefahren.“ „Woher wissen Sie, dass er der beste Künstler des Landes ist?“ – „Hat er mir gesagt. Er hat gesagt: ,Ich bin der allerbeste Künstler Österreichs.‘“ Die schlafenden Künstler auf der Rückbank wurden wach. „Hat er gesagt, wie er heißt?“ „Ja, er hat gesagt, er heißt Erwin Wurm.“ Die Künstler im Taxi mussten laut lachen.

Das ist sehr schön, wenn jemand so von sich überzeugt ist wie Erwin Wurm. Wurm, Cristiano Ronaldo, Donald Trump. Männer, die sich vielleicht kritisch hinterfragen, aber vor sich selbst jeder Überprüfung standhalten. In der Kunst ist es schwierig, Bewertungen vorzunehmen. In der Regel sind tote Künstler teurer als lebende. Van Gogh verkaufte zu Lebzeiten fast nichts. Mein Sohn glaubt, dass er so arm war, dass er sich nur ein Ohr leisten konnte. Dann: Tot und los ging’s mit Rekordpreisen bei Auktionen.

Mein Sohn ist vier Jahre alt und hat ein Kunstbuch, das wir ihm auf der Biennale gekauft haben. „Wieso sind die alle nackt?“, heißt das Buch, und seitdem wir es ihm vorgelesen haben, kennt er sich aus. Ich war mit ihm zusammen im Atelier der befreundeten Malerin. Ihm war fad. Er begann, ein Bild zu malen. Die Malerin fragte: „Ist das ein Tier?“ „Nein, das ist Kunst“, antwortete er. Eben.

Anders als Wurm war Hilma af Klint, die Erfinderin des Kubismus. Lange dachte man, Kandinsky habe den Kubismus erfunden, dann tauchten Bilder der Schwedin auf und die Kunstgeschichte musste neu geschrieben werden. Anders als Wurm hat sie bestimmt, dass 20 Jahre lang nach ihrem Tod niemand ihre Bilder ansehen darf. Über tausend lagen bei ihrem Neffen herum und gerieten in Vergessenheit, bis Anfang der 80er-Jahre ein Kunsthistoriker die Arbeiten entdeckte.
2013 zeigte die Biennale Arbeiten von ihr, 2018 gab es im Guggenheim in New York eine Ausstellung, die meistbesuchte Ausstellung in der Geschichte des Museums. Hilma af Klint hätte keinem Taxifahrer gesagt, dass sie die beste Künstlerin sei. Sie war bescheiden und an Anthroposophie mehr interessiert als an Ruhm.

Mein Lieblingskunstobjekt ist zurzeit der Beuys-Baum in der Hochschule für angewandte Kunst. 1983 hatte Joseph Beuys Eichen gepflanzt. Leider sind sie eingegangen. Eine der abgestorbenen Baumleichen liegt jetzt in einer Vitrine. Weil, man kann die Leiche nicht einfach so entsorgen. Sie wurde von Beuys gepflanzt. Beuys hatte es sich anders vorgestellt, aber so ist es halt, wenn Leben in die Kunst kommt. Vielleicht hatte der Baum einen Wurm.