­Geschätzte Leserin, geschätzter Leser!
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Jetzt haben die Kulturschaffenden doch noch die wahren Schuldigen für ihre Situation ausgemacht – Kulturminister Werner Kogler, Finanzminister Gernot Blümel und Bundeskanzler Sebastian Kurz. Sie seien dafür verantwortlich, dass die Kulturbranche nur schleppende Unterstützung und keine Perspektive erfahre. Der zurückgetretenen Staatssekretärin Ulrike Lunacek wurden noch schnell ein paar Krokodilstränen nachgeweint, gestern Abend bei einer Diskussion im ORF. Wie bitter, so Vertreterinnen aus der Kulturbranche, dass ausgerechnet eine Frau das erste politische Opfer der Coronakrise geworden sei. Zum Freiwild erklärt, eben von dieser Branche. „Wir haben halt eine laute Stimme“, so Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger, der schärfste und wohl am besten vernetzte Kritiker von Lunacek.

Die Öffentlichkeit, die Föttinger mit seinen Tiraden gegen Lunacek erhalten hatte, würden sich andere von den Einschränkungen existenziell Betroffenen wünschen. Wie die arbeitslos gewordenen, zuvor Teilzeit beschäftigten Alleinerzieherinnen, die mit ihrem geringen Arbeitslosengeld direkt vom AMS zu den sozialen Hilfseinrichtungen gehen müssen. Oder die ausländischen Pflegerinnen, die jetzt zu ihren Klienten/innen nach Österreich gekommen sind und auf den Transportkosten sitzen bleiben. Und denen Familienministerin Christine Aschbacher ausrichtet, die Kürzung der Familienbeihilfe sei „weiterhin eine Frage der Gerechtigkeit“, auch wenn die EU-Kommission dagegen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erhebt. Von wegen Heldinnen des Alltags, die in der Coronakrise unser System aufrechterhalten helfen! Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Das Ende der politischen Laufbahn von Ulrike Lunacek ist tatsächlich bitter. Sie war jahrzehntelang eine tragende Säule der Grünen, hat sich als Europa-Parlamentarierin und Vertreterin in internationalen Organisationen großes Ansehen erworben. Als Spitzenkandidatin der Grünen bei der EU-Wahl 2014 erzielte sie mit rund 15 Prozent das bis dahin beste Ergebnis für ihre Partei. Dass sie 2017 aus dem Europaparlament ausschied und als Spitzenkandidatin bei der Nationalratswahl antrat, war ein Dienst an der damals stark erschütterten Partei. Die Grünen flogen aus dem Parlament, Lunacek zog die Konsequenzen und trat zurück. Wie jetzt auch. Sie ist „das erste sichtbare Opfer der grünen Zerreißprobe in der Regierung“, analysiert Kollegin Claudia Gigler. Denn, und diese Frage wurde von der heutigen „Morgenpostlerin“ hier auch schon mehrmals gestellt: Wie lange wird es die grüne Basis hinnehmen, dass ihre Partei in der Bundesregierung von der ÖVP an die Wand gedrückt wird? Und für die unstrittigen Fehler in der Coronakrise wie fragwürdige, lückenhafte und zu spät herausgegebenen Verordnungen allein verantwortlich gemacht wird?

Kuriose Randerscheinung: Ein Wirtschaftskammerpräsident empörte sich dieser Tage lautstark über die bürokratische Abwicklung der Hilfsgelder und dass diese verspätet bei den Unternehmern ankommen. Gelder aus Unterstützungsaktionen, die von der Wirtschaftskammer abgewickelt werden. Vertreter eben dieser WK fragen längst hinter vorgehaltener Hand, warum nicht das Finanzministerium mit der Abwicklung betraut wurde. Wie in Deutschland oder in der Schweiz, „wo es nur einer Steuernummer und einer Kontonummer bedarf, um zum  Geld zu kommen“. Und nicht 48-seitige Ansuchen ausgefüllt werden müssten, wie es Theaterdirektor Föttinger in der gestrigen Fernsehdiskussion sagte.
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