Guten Morgen!
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Der Morgenpostler weiß nicht, wie's Ihnen da geht, aber er mag Manager, die über ihr Milieu hinausstrahlen, die nicht nur in der Welt der Zahlen strahlen und deren Sprache sprechen (meist eine kauderwelschisch schlechte), sondern die noch eine zweite Welt haben. Ganzheitlich gebildete Typen mit einem breiten Radius und einem humanistischen Sockel. Andreas Treichl, Manager der größten Bank des Landes, ist so einer. Für den Morgenpostler. Er hat ihn schon erlebt, wie er bei einer Feier vor tausend Leuten auf die Bühne hüpft, die Krawatte lockert und am Klavier Frank Sinatra singt und spielt, jetzt nicht buchbindermäßig, aber auf einem Niveau, das man nur schafft, wenn man das Instrument als Lebensbegleiter hat. Später, an jenem Abend, wechselte Treichl („Darf ich mir einen Tschick anzünden?“) von Sinatra zum Free Jazz. Das hat den Morgenpostler ziemlich beeindruckt. Smarter Kerl, hat er sich gedacht.

Diese Woche hat er ihn wiedergetroffen. Im 12. Stock des Erste-Campus am neuen Wiener Hauptbahnhof lud Treichl zum Abschiedsinterview und zum nächtlichen Blick auf die Kräne ringsum und die lichterlohe Stadt, die nicht Fußball spielen kann, aber sonst alle Stückln, vor allem, wenn man dort oben steht. Im Gäste-Separee standen Kerzenleuchter, aber leider kein Flügel. Treichl erzählte von sich, seinem Übervater, von den Grünen in der Familie, von der Zukunft, in der eine Bank nicht mehr Bank heißen werde und der Schalter „längst tot“ sei, von neuen Bedrohungen und alten, dunklen Momenten, als der liberale Kopf mit anderen der durchgebeutelten, diskreditierten Zunft Staatshilfe erbat und der ganze Markt- und Börsewert der Bank in sich zusammenfiel. Es war die Zeit, als er auf der Bühne nicht Sinatra spielte und auch nicht den smarten Typen über der Baumgrenze. Es war die Zeit, als es Treichl öffentlich nicht mehr gab, oder nur einmal, des Opernballs und seiner Frau wegen. Das Paar huschte am Weg zur Oper am „Schwarzen Kameel“ vorbei, als plötzlich Gäste aus dem Schuppen stürmten, Opfer der Banken- und Börsekrise, und dem Manager vor die Lackschuhe spuckten. Treichls Frau brach in Tränen aus, und der Weg zur roten Stiege war nicht mehr weit.

Von solchen Momenten erzählte Treichl im Interview, das heute zu lesen ist. In der Transkription nehmen solche Szenen, die in der Erinnerung nie welken, zu viel Raum ein. Sie würden das Aktuelle verdrängen, das heilige Bargeld und den teuflischen Nullzins. Für solche Zwänge gibt es die Morgenpost. Ende Dezember wird Treichl aus dem Vorstand scheiden, schon jetzt steht er, wenn ihm Sitzungen unnütz erscheinen, einfach auf und geht. Luxus des Abschieds, sagt er. Nach Neujahr wollte er mit dem Rucksack „einfach verschwinden“, Nepal oder so. Jetzt bleibt er, weil er den maturierenden Sohn nicht alleine lassen will. Auch über den Wolken, denkt sich der Morgenpostler, ist die Freiheit nicht grenzenlos. Ist jetzt nicht von Sinatra, aber das macht nichts.

Einen schönen Samstag, und holen Sie sich am Abend einen feinen Rotwein aus dem Keller, auf 2/3 steht, warum.