Wenn es für die britische Königsfamilie einen geschichtsträchtigen Ort mit zugleich engem persönlichem Bezug gibt, dann ist es die St.-Georgs-Kapelle auf Schloss Windsor: Ihre Ursprünge reichen in das 15. Jahrhundert zurück – im Mai 2018 war sie noch freudvoller Rahmen für die Trauung von Prinz Harry und Meghan Markle. Heute stehen die Zeichen dort und im Rest des Vereinigten Königreichs auf Trauer und Abschied: Prinz Philip, der nun im 100. Lebensjahr verstarb, findet in der Kollegiatstiftskirche – wie so viele Mitglieder der Königsfamilie zuvor – letzte Ruhe.

Die Beisetzung, die in Großbritannien mit einer landesweiten Schweigeminute beginnt, wird live übertragen – so auch ab 13.15 Uhr unserer Zeit in ORF 2. Philips Sarg wird in einem dunkelgrünen, von Philip zeitlebens selbst adaptierten Land Rover – passendes Symbol für die verblasste britische Automobilindustrie – innerhalb der Schlossmauern zur Kapelle gefahren. Zur Zeremonie sind nur 30 Trauergäste zugelassen, die männlichen Royals werden keine Militär-Uniformen tragen.


Als stiller Teilhaber der britischen Krone war er Queen Elizabeth II. Stütze und Berater – er, der ewige Prinz, mit dem sie über 73 Jahre verheiratet war: „Er war ganz einfach mein Felsen in all diesen Jahren. Und ich und seine ganze Familie sowie dieses Land und viele andere Länder sind ihm mehr schuldig, als er je zugeben wird und wir je ahnen werden“, sagte die in vier Tagen 95-jährige Königin 1997 zur Goldenen Hochzeit des Paares ungewöhnlich offenherzig über die Bedeutung Philips.


Der Abschied von ihm heute ist aber auch ein „Farewell!“ von einem der letzten Vertreter einer Generation, die von nicht weiter diskutierbarem Pflichtbewusstsein durchdrungen war. Die akute Frage, wie es mit der britischen Monarchie weitergehen soll, wird nur für den heutigen Tag ausgeblendet.

Wie kann es für die Queen nun weitergehen?


Das Wort „Abdankung“ könnte einem in den Sinn kommen – für die so eherne wie stoische und rüstige Monarchin wird ein Rücktritt – trotz des unermesslichen persönlichen Verlustes – weiter keine Option sein: Sie schwor sich bereits zu ihrem 21. Geburtstag 1947 auf lebenslange Treue ein: „Vor Ihnen allen erkläre ich, dass mein ganzes Leben, ob es lang oder kurz sein mag, dem Dienst an Ihnen und unserer großen imperialen Familie, zu der wir alle gehören, gewidmet sein wird.“ Man vergesse nicht, dass es in der jüngeren englischen Geschichte nur eine einzige Abdankung gab – jene von Edward VIII. 1936: Der Kurzeit-Regent entschloss sich zu diesem historischen Schritt, weil er seine Geliebte, die US-Amerikanerin Wallis Simpson, ehelichen wollte. Damit rückte er seine eigene Vita in den Fokus – etwas, das gerade Elizabeth II. grundlegend fremd ist.

Queen-Biograf Thomas Kielinger: „Das Einzige, was man sich vorstellen kann, ist, dass sie krank wird und nicht mehr fähig ist, die Geschäfte auszuführen. Dann kommt Sohn Charles als Regent an die Reihe. Dann heißt er nicht König, sondern Regent. Es ist undenkbar, dass es zwei amtierende Könige gibt. Da ist die eiserne Geschichte Englands ein Kontinuum, an dem auch niemand rütteln wird.“ Vieles spricht dafür, dass der Erste in der Thronfolge zumindest zeremoniell die Lücke füllen wird, die Philip hinterlassen hat.

Der letzte Staatsbesuch der Queen liegt sechs Jahre zurück – Auslandsreisen wurden meist von Charles (72) und seiner Frau Camilla (73) sowie von Enkelsohn William (38), dem nach ihm Zweiten in der Thronfolge, und seiner Frau Kate (39) bestritten: Das Paar gilt als sichere Bank („Catherine und ich werden weiter tun, was er gewollt hätte, und die Queen in den nächsten Jahren unterstützen“) – und als Generation, die das Königshaus einmal in gemäßigte Modernität führen könnte: Von Charles hingegen erwartet niemand echte Reformen.


Mit Spannung erwartet wird auch eine mögliche, anlassbezogene Aussöhnung von Prinz Harry (36) mit Bruder William und Vater Charles. Die Queen verfügte indes, dass die Brüder im Trauerzug nicht nebeneinander gehen, um möglichen Zwist auch theoretisch auszuschließen: Als Harry samt Frau (39) und Kind (1) gen Kalifornien emigrierte, riss er eine innerfamiliäre Kluft mit desaströser Außenwirkung. Nicht zuletzt Philip ortete „egozentrisches Verhalten“ – im Volk war das Quantum Verständnis spätestens nach der Seelenschau bei Oprah Winfrey verbraucht: Als das Interview gezeigt wurde, lag der 99-Jährige in einem Londoner Spital – verheerendes Timing der Entfremdeten.


Philip wünschte sich ein Begräbnis in Windsor – und zwar eines, das mit „minimalem Aufwand“ über die Bühne gehen sollte. Erwartet wird, dass Justin Welby, Erzbischof von Canterbury, die Trauerzeremonie leiten wird. Der frühere Premierminister John Major, der als Freund Philips gilt, hofft, dass Elizabeth II. „genügend Raum zum Trauern“ gegeben werde. Schon ihre Rolle als Königin bringe Einsamkeit mit sich – allerdings: „Prinz Philip mag physisch gegangen sein, doch sie wird ihn klar in ihren Gedanken haben, als würde sie ihm weiter gegenüber sitzen.“


Großbritannien wird sich nach der Absprengung von der EU neu finden müssen. Und: Solch elementare Veränderungen gehen mit immer härteten Bandagen in der politischen Landschaft einher – was noch stärkere Wechselwirkungen auf die Krone haben wird. So oder so: Eine Ära, geschnitzt im Stil des mittleren 20. Jahrhunderts, neigt sich stetig ihrem Ende zu.