Die US-Sängerin Billie Eilish ist erst 19, aber aus mindestens drei Gründen schon seit Jahren eine Sensation im Musikgeschäft. Vor allem schreibt sie zusammen mit ihrem Bruder Finneas O'Connell ihre Lieder und anspielungsreichen Texte selbst, anstatt vorproduzierte Belanglosigkeiten aus dem Disney-Pop-Kosmos zu singen. Zudem kämpft sie offensiv gegen Schönheitsideale und betonte über Jahre, dass sie nur Schlabberlook trage, damit andere ihren Körper nicht vereinnahmen. Und schließlich betont sie in vielen Interviews, wie wichtig es sei, den eigenen Weg zu gehen - versinkt dabei aber nicht in coolen Anti-Establishment-Posen, sondern erlaubt sich eben doch begeisterte Zusammenarbeiten mit Superstar Justin Bieber. Oder sie lässt den US-Kabelanbieter HBO max eine Dokumentation über ihr Leben drehen.

Von außen schaut es so aus, als gelängen der US-Amerikanerin - mit vollständigem Namen Billie Eilish Pirate Baird O'Connell - gleich mehrere Spagate in einem für viele Frauen ihres Alters bisher oft unerbittlichen Business. Und doch steht da immer die Frage im Raum, wie viel an Eilishs Persona kalkuliert und wie viel "real" ist.

Wer dieses Puzzle zusammensetzen möchte, bekommt ab Freitag einige neue Teile. Dann erscheint "Happier Than Ever", das mit Hochspannung erwartete zweite Album nach dem Debüterfolg "When We All Fall Asleep, Where Do We Go?", der Eilish den Weg zu den ersten fünf von bisher sieben Grammys ebnete.

Auch die neuen Songs bieten bestenfalls Hinweise zum tieferen Ergründen des Stars. Schon auf dem Cover geht das Spiel mit den Identitäten weiter, denn nach dem Albumtitel "Glücklicher als je zuvor" sieht sie nicht aus. Stattdessen ist Eilish inszeniert als ausdruckslos nach oben blickende Frau mit blonden Haaren, aus der Zeit gefallener Frisur und prallen Lippen.

Auch Medien bekamen im Vorfeld nicht das vollständige Album zu hören - Billie Eilish ist ein Pophochkaräter, dessen jeweils neueste Musik bis zur Veröffentlichung abgeschirmt wird. In den zunächst veröffentlichten fünf Liedern steckt aber eine größere Ernsthaftigkeit als im ungestümen Debüt.

In "Your Power" geht es um einen Mann, der die Unschuld einer Frau ausnutzt. In "My Future" fragt sich Eilish unter anderem, wo ihr Platz in der Promiwelt ist und wie sie sich die Möglichkeit bewahren kann, einen eigenen Weg zu gehen. "Ich weiß, angeblich bin ich jetzt einsam", schmeichelt sie da. "Ich weiß, ich sollte unglücklich sein, so ganz ohne jemanden. Aber bin ich nicht auch jemand?".

Der leicht verrätselte Midtempo-Track "NDA" dagegen handelt von "Non-Disclosure Agreements" - jenen Geheimhaltungsvereinbarungen, die in der US-Geschäftswelt und im Umfeld von vielen Promis absichern sollen, dass andere keine privaten Details ausplaudern.

Vielleicht ist das ein Erfolgsgeheimnis: Obwohl diese Themen auf den ersten Blick abgehoben klingen, so handelt am Ende Eilishs Musik doch von genau jenen Dingen, die auch für die Fans aus ihrer Generation wichtig sind. Dazu gehören eben Macht und Ohnmacht junger Frauen, die ständige Arbeit am eigenen Image in einer 24-Stunden-Online-Welt - und was ist ein Star-"NDA" schon anderes als die Bitte um Verschwiegenheit, die Teenager von ihren Liebschaften verlangen?

Musikalisch ist das alles trotz mancher verspielter Loops näher am ätherisch-zurückhaltenden Sound von Lana Del Rey als am eigenen bass-getriebenen Megahit "Bad Guy", der allein in seinen beiden erfolgreichsten Versionen mehr als zwei Milliarden Abrufe bei Spotify erzielte. Allerdings kommen die Songs des Jungstars aus Los Angeles nie so gelangweilt daher wie bei der fast doppelt so alten New Yorkerin.

Wenn Eilish-Tracks im Hintergrund laufen, irritieren sie zwar nicht. Aber wer genauer hinhört, findet mehr Tiefe als bei Del Rey oder dem poppiger angelegten anderen Shootingstar des zurückliegenden Jahres, Olivia Rodrigo ("Driver"s License"). Wie aufrichtig all die Bekenntnisse tatsächlich sind, oder ob da eben weiterhin nur clever mit Images gespielt wird, weiß am Ende nur Eilishs engstes Umfeld.